Lobgesang
Verzückung beim Ritt mit der Streunenden Armee, daran, was es für ein Gefühl war, mit den Messern zu tanzen und in ihrem Zorn einen Blutspäher zu erledigen. »Ich will nicht wie du sein«, sagte Jin.
Und dann lächelte er und reichte ihr Jakob zurück. »Du bist nicht wie ich, Jin Li Tam. Und darauf bin ich stolz.« Er erhob sich, und sie sah, wie ein seltsamer Ausdruck über sein Gesicht huschte. »Erinnerst du dich noch daran, woher dein Name kommt?«
Jin nickte. Es war lange her, dass sie daran gedacht hatte. »Von den D’Jin der Jüngeren Götter, die in den finstersten Tiefen von Meeren schwimmen, in denen es spukt.«
Vlad Li Tam nickte. »Ich habe einen gesehen, ehe deine Schwester mich aus dem Meer gezogen hat«, sagte er. »Er hat mir vorgesungen.«
Jin wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Also sagte sie nichts und stand einfach auf.
Ihr Vater verneigte sich vor ihr. »Er ist ein hübscher Junge. Er wird vortrefflich und stark sein.«
Sie erwiderte die Verneigung, konnte aber wieder keine Worte finden. Ihr Vater hatte sich verändert, und ihre Gedanken versuchten zu ergründen, wozu er geworden war.
Weil er gebrochen worden ist.
Die vergangenen Monate hatten Jin ausgezehrt, aber sie hatten sie nicht gebrochen. Und nachdem sie mit eigenen Augen gesehen hatte, wozu ihr Vater geworden war, wollte sie diese Erfahrung niemals selbst machen.
Als er gegangen war, schlüpfte sie in ihre Schlafkleider und legte Jakob in die Krippe neben ihrem Bett. Rudolfo würde bis spät in die Nacht hinein wach bleiben und wahrscheinlich erst
irgendwann nach der Morgendämmerung schlafen. Er würde daran arbeiten, von der Bundschaft mit Pylos und Turam zu retten, was zu retten war, obwohl Jin sicher war, dass die Anstrengungen fruchtlos bleiben würden. Dennoch würde er es versuchen, denn er sah immer den richtigen Weg und schlug ihn auch ein. Sie würde ihn heute Nacht nicht treffen, obwohl ein Teil von ihr danach verlangte. Ein Teil von ihr, der ihr nicht vertraut war, wollte ihn riechen, seine Wärme und Nähe spüren. Er war zu lange fort gewesen. Aber Rudolfo war ein einflussreicher Mann – heute Nacht würde er den Benannten Landen gehören, und sie konnte auf morgen hoffen.
Sie bemerkte nicht, dass sie eingeschlafen war, bis sie eine warme Hand auf sich spürte, die unter ihrem Kleid ihren nackten Bauch streichelte. Sie spürte die Botschaften, die in ihre weiche Haut getippt wurden, während sie eine Gänsehaut bekam. Mein Sonnenaufgang.
Langsam wurde sie wach und atmete den Geruch von Rudolfos Haar ein. »Ich kann nicht lange bleiben«, flüsterte er in ihr Ohr. Seine Hand bewegte sich wieder. Mein richtigster Weg.
»Ich bin froh, dass du zu Hause bist«, sagte sie zu ihm und rollte sich herum, um ihn in die Arme zu schließen.
Und für eine Weile ließ sie von ihren Sorgen ab, machte sich keine Gedanken mehr darüber, was sie in den Sturmwolken, die sich zusammenbrauten, erwarten würde, und genoss diesen Augenblick wie ein wertvolles Geschenk.
Lysias
Lysias starrte die Spähermagifizienten und das vergiftete Messer vor sich an und zwang seine Hände und Füße zur Konzentration auf das, was kommen musste.
Er war schon argwöhnisch gewesen, ehe Vlad Li Tam ihn zu sich gerufen hatte. Er hatte den Ausdruck der Verzückung auf Ignatios Gesicht gesehen, als Petronus unter der Klinge der Frau gefallen war, und das hatte ihn nachdenklich gemacht.
Eine Verschwörung, die groß genug war, um Windwir zu stürzen, erforderte eine sorgfältige Unterwanderung an Schlüsselpositionen quer durch alle Staaten der Benannten Lande, und auch die Sumpflande waren ihr zu schnell zum Opfer gefallen, als dass es eine Bewegung in den Kinderschuhen hätte sein können.
Er war gleich nach Einsetzen der Dämmerung auf der Bundhai eingetroffen und hatte sich angehört, was Vlad Li Tam aus einem dünnen Buch vorlas. Der Mann hatte sich verändert, er war von einem Narbengitter überzogen und hatte eine kleinlaute Stimme. Anfangs hatte er ihm nicht in die Augen geblickt und sich an das Buch gehalten. Er hatte nichts mehr von dem arroganten, vor Selbstvertrauen strotzenden Mann an sich, an den sich Lysias aus der Nacht erinnerte, in der sie sich in der Nähe der Ruinen von Rachyls Brücke getroffen hatten. Vlad Li Tam hatte ihm damals die nötigen Mittel an die Hand gegeben, den Krieg zu beenden, indem er Resolut und Sethbert stürzte, und später in jener Nacht hatten Lysias und Grymlis Resolut zu seinem Ende
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