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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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hatte erst den Sonnenaufgang abwarten wollen. Daher hatte er zunächst seinen neuen Enkel besucht und dann geschlafen oder sich vielmehr herumgeworfen, weil in seinen Träumen Aufruhr herrschte. Daraufhin war er aufgestanden, um Baryk zu wecken, und sie hatten sie und ihre Werkzeuge zu einem Ort nördlich des Lagers getragen, um sie abseits aller Blicke außer denen von Rudolfos magifizierten Spähern zu begraben.
    Obwohl ein Teil von ihm davor zurückscheute, würde er später mit dem Zigeunerkönig sprechen, nachdem er Rudolfos wachsamem Blick zwei Wochen lang ausgewichen war.
    Er holte so viel Erde, wie er konnte, aus dem Loch, das er begonnen hatte. Ihm gegenüber wartete Baryk und hielt eine Spitzhacke bereit. Die anderen hatten ihre Hilfe angeboten, aber er und Baryk hatten sie ausgeschlagen. Stattdessen arbeiteten der hinterbliebene Ehemann und der Vater zusammen, um ein Grab
für Rae Li Tam hier zwischen den Toten einer Stadt und einer Lebensweise auszuheben, die es nicht mehr gab.
    Dass sie zusammenarbeiteten, war die einzig angemessene Entscheidung, genauso wie sie zusammen bei ihr gesessen und ihr bei ihrem langsamen Sterben zugesehen hatten, dazu gezwungen, sie nur in ihrer Erinnerung zu sehen, weil die Blutmagifizienten sie noch immer vor ihren Augen verbargen.
    Selbst am Ende, als sie vor Schmerzen nicht mehr aufhören konnte zu weinen, hatte sie sich ganz der Aufgabe gewidmet, ein Heilmittel für ihren Neffen zu finden, und war gestorben, nachdem Baryk neben ihr eingeschlafen war, ein offenes Buch auf ihrer unsichtbaren Brust.
    Vlad Li Tam spürte, wie die Trauer sich in ihn bohrte, und blickte auf, um Baryk zuzunicken. Der grauhaarige Kriegspriester schwang die Spitzhacke und brach den gefrorenen Boden für Vlads Schaufel auf.
    Abermals versuchte er, sie nicht anzusehen, wie sie dort in das Segeltuch eingenäht war, und wieder gelang es ihm nicht. Ich erinnere mich an deine ersten Schritte , sprach er an jenen tief vergrabenen Orten zu ihr, die er nur selten aufsuchte. Und an deine ersten Worte. Er erinnerte sich auch an ihre letzten Worte, obwohl er sie währenddessen noch nicht als solche erkannt hatte.
    In jener letzten Nacht, bevor sie gestorben war, hatte er neben ihr gesessen, und sie hatte ihm kein Gedicht und keine Zelebrierung ihrer Liebe dargeboten. Stattdessen hatte sie ihm die Hand gedrückt. »Züchte deinen Schmerz zu einer Armee heran«, hatte sie ihm gesagt.
    Und er wusste, dass er es tun würde. Heute am späten Vormittag würde er sich mit Rudolfo treffen und ihn darum ersuchen, ihre vernarbten Kinder aufzunehmen und sich um sie zu kümmern. Er würde ihm das Buch zeigen – eine geheime Geschichte der Benannten Lande, von der nicht einmal er selbst gewusst hatte. Eine Geschichte, in der das Haus Li Tam eine Y’Ziritische
Bewegung in den Sumpflanden heranzüchtete, sie im Stillen mit der Verheißung des Falls von Windwir nährte, bis sie die große Stadt durch Verrat und Intrigen dem Erdboden gleichmachte.
    Resurgenten, die Blutmagifizienten benutzten und einen Bannspruch von großer Macht gewirkt hatten, der aus seiner Qual und dem Blut seiner Kinder und Enkel geschaffen worden war, damit das Kind geheilt werden und Petronus von den Toten auferstehen konnte – weitere Wunder, die von einem neuen, düsteren Evangelium kündeten.
    Er hätte es nicht geglaubt, hätte er es nicht in dem Buch verschlüsselt gelesen.
    Anfangs hatte er fälschlicherweise gedacht, dass sogar der Kult selbst eine maßgeschneiderte Schöpfung war, nur um Windwir zu zerstören. Doch dieser neue Kult ging weit tiefer. Sein Vater hatte tatsächlich an dieses sogenannte Y’Ziritische Evangelium geglaubt . Das dünne Büchlein war von Querverweisen darauf durchsetzt. Es war ebenso sehr eine Studie des Evangeliums wie eine Strategie, um ihre gegenwärtige Lage herbeizuführen. Aber weshalb?
    Um den Thron der Karmesinkaiserin zu errichten .
    Nein , dachte er, es kann nicht nur Glaube sein, nicht nur blindes Festhalten am Mystizismus. Er konnte seinen Vater nicht in diesem Licht sehen. Es musste eine treibende Kraft hinter ihm gegeben haben, der er gedient hatte. Und diese musste greifbar und nachvollziehbar sein. Wie immer die Wahrheit aussehen mochte, die Karmesinkaiserin war echt.
    Irgendwo spielte jemand Damenkrieg mit den Benannten Landen, und sein erster Enkel und diese bundheilende Königin des Machtvolks waren nur Spielfiguren in einem noch größeren Wettstreit. Und Vlad Li Tam würde seine tatsächlichen

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