Lobgesang
Gegner aufspüren und es ihnen vergelten.
Es spielte keine Rolle, ob das Blut seiner Familie seinen Enkel oder gar die Welt gerettet hatte. Jene, die danach verlangt hatten,
und jene, die es genommen hatten, würden für diesen Raub bezahlen.
Deshalb würde er Rudolfo verraten, was er wusste. Und dann würde er ihn um Geld bitten, und mit diesem Geld würde er das, was von seiner Eisernen Armada übrig war, ausrüsten und auf diese Insel zurückkehren, obwohl ihm der Gedanke daran das Herz brach. Weinend würde er sie Stein für Stein auseinandernehmen, um daraus zu erfahren, was es zu erfahren gab.
Er würde seinen Schmerz zu einer Armee heranzüchten, und währenddessen würde er seinen Feind so gut kennenlernen, wie er nur konnte. Er würde Patrouillen durch die südlichen Gewässer schicken und auf Schoner einer unbekannten Bauweise und Trimm achten, die aus einem dunklen Holz waren, das die größte Schiffsbauerfamilie der Benannten Lande nicht kannte. Das alles würde er tun, und unterdessen würde er im Wasser nach Geistern Ausschau halten.
Abermals wurde sein Blick zu Rae Li Tam gezogen, und er spürte, wie die Trauer ihn wie Wasser durchströmte.
Sie hatte ihr Leben hingegeben, um ihn zu retten, hatte Blutmagifizienten angewendet, um die Stärke und Schnelligkeit zu erlangen, ihn zu finden und aus dem Meer zu ziehen. Das hatte er nicht vorhergesehen, und ihr Opfer am Ende von so vielen anderen Toden brach dem alten Mann das Herz.
Ich habe mich verändert , erkannte er.
Er hatte viele seiner Kinder in den Tod geschickt, um hier einen Fluss umzuleiten oder dort einen Berg zu versetzen. Er hatte sie in die Betten von Tyrannen und in Gefängnisse zu Dieben und Mördern geschickt. Er hatte sie zu Mördern und Folterknechten und Lügnern und Huren gemacht.
Niemals wieder , schwor er sich.
Baryk ruhte sich inzwischen auf der Spitzhacke aus, und Vlad Li Tam arbeitete mit der Schaufel. Sie wechselten sich auf diese Weise ab, bis das Loch groß genug war. Dann legten sie ihre
Werkzeuge ab und hoben die geliebte Tochter und Ehefrau auf, die sie verloren hatten.
Die Tränen flossen nun ungehindert, und er schämte sich ihrer nicht. Ich werde meinen Schmerz zu einer Armee heranzüchten.
Er blickte auf und sah, dass auch Baryk weinte. Auch er züchtet seine Armee. Wie wir alle .
Es würde eine mächtige Armee sein, erkannte er, die ein jeder von ihnen züchtete. Dem Spieler, der jene Figuren gegen Vlad Li Tams Familie gezogen hatte, stand eine schreckliche Abrechnung bevor.
Sanft und schweigend legten sie Rae Li Tam in die Erde und bereiteten ihre Herzen auf den Krieg vor.
Winters
Winters kniete vor Seamus und hielt seine Hände fest. Bei der Erwähnung der Frau, die ihren Namen teilte, blinzelte er, und auf seinem Gesicht spiegelte sich Überraschung.
Sie war letztendlich hergekommen und hatte ihn mitten in der Nacht geweckt, nachdem ihre Fragen und Alpträume ihr keine Ruhe gelassen hatten.
»Sie behauptet, meine Schwester zu sein«, sagte sie zu ihm. »Sie hat mich angewiesen, dich nach ihr zu fragen.«
»Es kann nicht sein«, murmelte er, seine Stimme nur ein leiser Hauch.
Sie bemerkte Verwunderung in seiner Stimme, und ihr Blick verengte sich. »Was weißt du darüber, Seamus?«
Er holte Luft. »Ich weiß, dass es nicht sein kann«, wiederholte er. » Sie kann nicht sein … Ich habe deinem Vater dabei geholfen, sie zu begraben. Das Fieber hat sie im ersten Monat dahingerafft. « Er blickte sie an. »Außer …«
Ja , dachte sie. Es war möglich. Sie hatte gesehen, wie der Tropfen aus der Ampulle Petronus zurückgeholt hatte. Sie hatte gesehen, wie der zweite Tropfen Jakob geheilt hatte. Man konnte die Toten auferstehen lassen.
Oder, dachte sie, ein Tod konnte vorgetäuscht werden. Abermals kam ihr Petronus in den Sinn.
»Und ihr Name war Winteria?«
Seamus nickte. »Ja.«
Mit dieser Erkenntnis setzte sie sich hin und versuchte, sie zu verarbeiten. Weshalb fand sich nichts darüber im Buch? In all den Aufzeichnungen ihres Vaters hatte sie keine Spur davon gesehen … und sein engster Freund Hanric hatte nichts darüber zu ihr gesagt. »Weshalb wurde ihr Tod geheim gehalten?«
Seamus’ Blick war nun hart. »Ihre Geburt wurde ebenfalls geheim gehalten. Nur eine Handvoll von uns wussten Bescheid, und dein Vater hat uns zum Schweigen verpflichtet. Deine Mutter wurde von allen getrennt gehalten, nachdem sie ihr erstes Kind empfangen hatte.«
»Aber weshalb?«, fragte sie wieder.
Seamus
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