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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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anschmiegte.
    Es erzwingt eine Erwiderung.
    Nachdem er den Halbmond in die Tasche geschoben hatte, kletterte Neb aus der Dunkelheit zurück nach oben, schloss den Deckel hinter sich und verriegelte ihn. Dann streckte er sich auf dem kalten Eisen aus und holte den Gegenstand wieder hervor.
    Er wusste, was er sehen würde, verstand allerdings nicht, woher er dieses Wissen nahm. Als er ihn vor den Mond hielt, erkannte er die kleine Sichel dennoch als das, was sie war, und verglich die grobe Karte auf ihrer Oberfläche mit der blaugrünen Kugel, die dahinter am Nachthimmel hing.
    Sie stimmten überein. Es war der Mond.

    Sternen- und Mondlicht wirbelten auf der silbernen Oberfläche des Metalls. Er hatte es schon einmal gesehen. Es war der gleiche seltsame, uralte Stahl, aus dem auch die Axt der Herabkunft bestand, die Winters’ Amt kennzeichnete. Nachdem er sie wieder gesenkt hatte, legte er die silberne Sichel neben seiner Schulter auf den Boden und presste sein Ohr darauf.
    Dies ist die Quelle des Traums. Verborgen in jenem »Lobgesang auf den Gefallenen Mond« lag Nebs Schicksal, und er hieß es willkommen.
    Er musste eingeschlafen sein, denn er träumte. Nur war es ein Traum, den er nicht zum ersten Mal hatte, und nicht der Traum der Metallmänner, nach dem er sich sehnte. Und jetzt, da er ihn nun zum zweiten Mal träumte, war er klarer, hatte mehr Einzelheiten als zuvor.
    Er erinnerte sich gut daran – es war ein Traum, den er nicht ungern wiederholte. Er und Winters waren nackt und umschlangen einander. Sie waren älter, aber nicht viel. Die Decken hatten sich mit ihrem Schweiß vollgesogen, und seine Glieder und Augenlider waren schwer vor Erschöpfung und verausgabter Leidenschaft. Sie lagen unter einem seidenen Baldachin in einem tropischen Wald, der über ein Meer hinausblickte. Über dem Meer ging eine braune und blaue Welt auf und füllte den sternenübersäten Himmel aus. Sie ließ den Mond, an den er gewöhnt war, im Vergleich lächerlich klein aussehen.
    »Dies ist unsere Heimat«, flüsterte sie ihm ins Ohr, während sie sich über den Bauch strich, der angeschwollen von kommendem Leben war.
    Es war ein guter Traum; ein Traum, der sich wahr anfühlte.
    Neb regte sich und wurde kurz wach. Er fragte sich, ob manche Träume Verheißungen waren, Anzahlungen, getätigt für eine Zukunft, die das Schicksal für sie bereithalten mochte, wenn sie seinem Lobgesang selbst in den finstersten Nächten lauschten und bei Mondlicht zu seinem Ruf tanzten.

    Ich bin berufen, diese Heimat zu finden; das Lied wird mich hintragen.
    Und während Neb noch dem Lobgesang lauschte, schlang er sein Schicksal um sich, als wäre es die wärmste aller Decken, und hoffte entgegen aller Hoffnung, dass man Träume wahr werden lassen konnte.
    Jin Li Tam
    Jin Li Tam stand am Fuß des Fallreeps und wartete. Sie hatte die Nachricht ihres Vaters erhalten und den Tag damit verbracht, sich zu überlegen, was sie tun sollte. Schließlich hatte sie sich entschlossen, zu kommen und ihn ein letztes Mal zu sehen, ehe er auf der unmagifizierten Bundhai aussegelte, um sich mit seiner Armada zu treffen und auf der Suche nach Antworten und Rache gen Süden zu fahren.
    Rafe Merriques Erster Maat war gegangen, um ihn zu holen, noch während die Mannschaft das Schiff bereit zum Segeln machte. Jin wartete und betrachtete die Feuer im Zigeunerlager. Die anderen Lager waren inzwischen verschwunden – die Entrolusier waren als Letzte gegangen, hatten aber, unbemerkt von ihrem Aufseher, einen Mann zurückgelassen. Sethberts gefeiertster General, Lysias, hatte Rudolfo vor einigen Stunden um Asyl ersucht, und ihr Ehemann hatte es gewährt, nachdem Jin ihm verraten hatte, dass er der Vater ihrer Amme war.
    »Ich werde eine Aufgabe finden, die seinem Rang angemessen ist«, hatte ihr Rudolfo versichert.
    Pylos und Turam waren vor den anderen gegangen. Rudolfo hatte seine größten Bemühungen eingebracht, um den Frieden mit ihnen wiederherzustellen, aber ohne Erfolg. Jin hatte gewusst, dass es so kommen würde. Sie hatte die Wut in Meirovs Gesicht
gesehen, die vergifteten Dolche in ihren Blicken, als Jin Li Tams Sohn geheilt worden war und sie ihn zurückbekommen hatte.
    Sie hörte die Schritte ihres Vaters auf dem Fallreep und wandte sich zu ihm. Er ging langsam, und seine Schultern waren nach unten gesackt. Er hielt ein Papierbündel in den Händen. »Ich habe nicht geglaubt, dass du kommen würdest, aber ich bin froh, dass du da bist.«
    Jin nickte. »Ich

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