Lobgesang
gehärtet und aus ihm einen starken, vorzüglichen Anführer gemacht. Und auch sie hatte ihr Vater geformt, zu einem Pfeil, der auf Rudolfos Herz gerichtet war, und er hatte ihrer Vereinigung seinen Segen gegeben.
Der Krieg kommt , hatte sie vor so langer Zeit in seiner Nachricht gelesen. Gebäre Rudolfo einen Erben. Und anfangs hatte sie zugestimmt, weil es der Wunsch ihres Vaters gewesen war. Später, als ihre Liebe zu Rudolfo größer geworden war und sie die Motive ihres Vaters immer argwöhnischer betrachtet hatte, war ihr klar geworden, dass sie dieses Kind einzig und allein für Rudolfo gebären würde.
Darin lag eine gewisse Freude, doch jetzt, in diesem Moment, überwogen Verwirrung und Furcht und peinigende Schmerzen. Ihr Traum war anders gewesen als alle Träume, die sie je gehabt hatte, und sie hatte die dritte Warnstufe verschlafen. Jin Li Tam,
die in der Spähermagie und der Kunst der Spionage ausgebildet war, hatte einen Angriff auf ihre neue Heimat verschlafen.
Der Zigeunerspäher trat ein. »Die Flussfrau ist bereits unterwegs. Ich werde es in die Wege leiten, dass sie als Erstes zu Euch kommt.«
Jin Li Tam kämpfte gegen eine weitere Woge von Schmerzen an. »Was ist geschehen?«
»Ich bin nicht befugt, Euch …«
Schnell und kalt schnitt sie ihm das Wort ab: »Aeryk, Ihr seht meinen augenblicklichen Zustand, und Ihr wisst, dass König Rudolfo nichts von alledem vor mir geheim halten wird. Lasst mich nicht so vor Euch stehen und Euch noch einmal bitten.« Die Worte waren schärfer, als Jin beabsichtigt hatte, aber Hausangestellte und Wachen waren an diesen Ton gewöhnt, seit sie die erste Woche im Bett verbracht hatte.
Aeryk schluckte, dann nickte er. »Ja, edle Dame. Man hat uns angegriffen. Ein Trupp von magifizierten Kriegern ist in das Waldgebiet eingedrungen und hat die Gäste des Ehrenfests für den Stammhalter überfallen. Der Sumpfkönig Hanric und Ansylus, der Kronprinz von Turam, wurden getötet, ihre Leibwache erschlagen. «
Panik stieg in ihr auf. »Was ist mit Rudolfo?«
»General Rudolfo ist unverletzt und führt Nachforschungen durch.« Der Späher hielt inne, ahnte Jins nächste Frage und fuhr fort. »Die Angreifer standen unter dem Einfluss von Magifizienten, wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben. Die Flussfrau ist unterwegs, um dabei zu helfen, möglichst viel über diese Magifizienten ans Licht zu bringen.«
Ein säubernder Wind aus Blut. Die Worte aus ihrem Traum fielen ihr wieder ein, da hörte sie Lärm draußen auf dem Gang und sah einen Trupp Zigeunerspäher vorübergehen, dicht gedrängt um eine schlanke Gestalt in bunten Farben. Rudolfos Schritt und sein grüner Turban verrieten ihn, als er auf dem Weg in sein privates
Arbeitszimmer zu den Gemächern eilte, die sich an Jins eigene Räume anschlossen.
»Rudolfo!«, rief sie und löste sich nun von der Wand, damit er nicht sah, dass sie dieser Stütze bedurfte.
Aber er hielt nicht an. Er fegte mit seinen Männern vorüber, und sie hörte, wie er unterwegs Befehle brüllte. In seiner Stimme lagen Anspannung und Trauer und vielleicht sogar ein Hauch von Angst.
Wieder kam der Schmerz, und Jin Li Tam schluckte ihn hinunter, wollte sich dazu zwingen, das Gemach zu verlassen und Rudolfo in sein Arbeitszimmer zu folgen. Aber ihre Beine versagten den Dienst und knickten ein. Die Dienerin und der Späher eilten flink an ihre Seite und stützten sie, noch während sich weiter hinten auf dem Gang die Tür zu Rudolfos Arbeitszimmer öffnete und wieder schloss.
Jin Li Tam seufzte und blinzelte einen plötzlichen Ansturm von Tränen fort. In den letzten sechs Monaten hatte sie öfter geweint als je zuvor, wenn ihre Erinnerungen sie nicht trogen. Natürlich hatte sie Bücher gelesen und wusste, dass dies bei manchen Frauen ganz normal war.
Nicht bei mir , dachte sie. Nichts von alledem, was hier gerade geschah, war normal.
Ein Fluss lässt sich nicht lenken, er bahnt sich seinen Weg, wenn seine Zeit gekommen ist , dachte sie, während sie sich von ihren Helfern zurück in ihr wartendes Bett führen ließ. Und seine Zeit würde bald kommen.
Jin Li Tam entschied sich, es mit aller Würde durchzustehen, die sie aufbringen konnte. Sie würde im Bett warten und atmen, wie es ihr die Flussfrau und die Bücher empfohlen hatten. Sie würde eine Nachricht an Rudolfo schicken, damit er zu ihr kam, sobald es ihm möglich war.
Sie würde dem Mann, den sie liebte, einen Erben gebären und versuchen, den Traum aus ihren Gedanken zu
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