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Lobgesang

Titel: Lobgesang
Autoren: Ken Scholes
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verbannen. Heute
Nacht würde sie zur Mutter werden und ihren Sohn in die Welt entlassen, einen Pfeil für das Licht, scharf und gut gezielt.
    Sie würde tapfer sein und nicht weinen.
    Doch Jin Li Tam versagte auf der ganzen Linie, und ihr Versagen erfüllte sie mit Wut, als sie sich dem Gefühl der Machtlosigkeit ergeben musste, das sie aus dem Hinterhalt angriff. Und sie wurde rot, weil jene, die sich um sie kümmerten, sie so schwach sahen.

Kapitel 4
    Rudolfo
    Rudolfo ging auf dem Plüschteppich seines privaten Arbeitszimmers auf und ab und ließ die Ereignisse des Abends vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. Er und seine Männer waren unversehens von einer Bedrohung eingeholt worden, die sie sich in ihren wildesten Vorstellungen nicht hätten ausmalen können, und diese Tatsache erfüllte ihn mit Zorn. Kaum sichtbare Spuren vom Blut der Angreifer verblassten inzwischen auf seiner Uniform, Flecken, die eher wie Schatten wirkten neben den dunkleren Spritzern, die von Hanric, Ansylus und deren Männern stammten.
    Er strich sich durch den Bart und wanderte allein im Zimmer umher, während er auf den Jungen und vor allem auf das Mädchen wartete, das nun die Bürde der Trauer zu tragen hatte und vor einer schwierigen Entscheidung stand.
    Ganz gleich, wie sie sich entscheidet, sie wird es schwer haben. An dieser Wahrheit führte kein Weg vorbei. Aber wie immer sie sich entschied, Rudolfo würde an seiner Bundschaft mit dem Sumpfmädchen festhalten – mit der Sumpfkönigin – und seine Unterstützung für sie noch ausweiten.
    Sie und ihr Volk hatten das Geheimnis gut gehütet. Rudolfo und Gregoric hatten es gewusst, und sicher auch der Junge, Neb. Darüber hinaus würde jeder in den Benannten Landen jetzt annehmen, die Sümpfler hätten keinen König mehr.

    Die Unruhen könnten sich für sie noch als Segen erweisen , dachte Rudolfo. Da alle Blicke auf die Feuer im Süden gerichtet waren, würde es kaum jemanden kümmern, wenn der Weidenthron der Sümpfler plötzlich leer schien. Trotzdem stellte es in so jungem Alter eine große Herausforderung für sie dar, auch wenn sie die Herrschaft später antrat als Rudolfo. Und sie besaß den zusätzlichen Vorteil, aus einem Volk zu stammen, das verachtet, gefürchtet, gemieden und missverstanden wurde – noch viel mehr als Rudolfos Waldzigeuner.
    Aber was war mit Turam? Der Vater des Kronprinzen lag schon seit beinahe einem Jahrzehnt auf der Schwelle des Todes darnieder, sein Leben künstlich verlängert durch androfranzinische Arzneien, die nicht mehr ohne weiteres zu beschaffen waren. Ansylus hatte als sein Stellvertreter fungiert, und nun war Turam den zersetzenden Kräften von innen und außen hilflos ausgeliefert. Rudolfo wühlte tief in seinen Erinnerungen, konnte aber den Namen des jüngeren Bruders nicht ans Licht zerren – es war ohnehin unerheblich, denn der Junge war während des Krieges um Windwir in der Schlacht von Rachyls Brücke getötet worden. Es gab allerdings einen Onkel. Turam hielt in der Flut des Aufruhrs, der mit dem Zusammenbruch der Androfranziner über die Benannten Lande hinwegschwappte, gerade noch den Kopf über Wasser. Diese Neuigkeiten konnten das Zünglein an der Waage sein.
    Und weshalb jetzt ? Weshalb in seinem Haus? Und, noch verwirrender, weshalb nicht er ? Zwei der drei einflussreichsten Männer im Raum waren gefallen, und einer war gänzlich unverletzt geblieben. Ein Unbehagen bemächtigte sich seiner und ließ ihn nicht mehr los. Wenn sich der Rauch dieser Nacht gelegt hatte, würde er seine Verlobte Jin Li Tam um Rat ersuchen.
    Er hatte nach ihr in der Menge Ausschau gehalten, die sich vor der großen Halle versammelt hatte. Sie war durch ihre Abwesenheit aufgefallen, und er bezweifelte, dass die Mahnungen der
Flussfrau, das Bett zu hüten, ihre Neugier tatsächlich unterdrückt hatten. Rudolfo hatte vorgehabt, sich nach ihr zu erkundigen oder selbst nach ihr zu sehen, aber der Ansturm der zu erteilenden Befehle, anzuleitenden Menschen und in Gang zu setzenden Nachforschungen hatte ihn erfasst und bis zu diesem Augenblick weitergetragen.
    Er blickte auf, als es an der Tür klopfte. »Ja?«
    Sie öffnete sich einen Spaltbreit, und Neb spähte herein. »Ich habe die edle Dame Winters bei mir, General.«
    Aus Gewohnheit strich Rudolfo seine Uniform glatt. »Schick sie herein.« Er musterte Nebs Gesicht und zog seine Schlüsse aus der Röte der Augen und der Blässe der Haut. Als ihm Nebs Blick begegnete, bewegten sich Rudolfos Hände
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