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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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würde, als Rudolfo zunächst angenommen hatte, und das verunsicherte ihn.
    Noch einmal betrachtete er die Flüchtlingsgruppe und sah sich plötzlich einem Bild aus Carpathius’ Gemälden gegenüber, wie sie überall in seiner Siebten Residenz hingen: die sterbensmüden Einwanderer, die mit leerem Blick und leerem Magen ihren Weg tiefer in die Neue Welt hinein suchten und hofften, den Tod und den Wahnsinn hinter sich zu lassen, die Xhum Y’Zir in seinem Zorn heraufbeschworen hatte.
    Er zwang seine Gedanken wieder zu dem entrolusischen Hauptmann. »Die Grenzen sind offen«, sagte Rudolfo. »Reitet zur Siebten Residenz. Dort wartet ein Lager auf Euch. Macht eine Liste von den Fertigkeiten, die Eure Schar mitbringt, und gebt diese Liste dem Hauptmann des Lagers, dann wird er Euch Arbeit geben: Eine Bibliothek muss errichtet werden.«

    Der Hauptmann nickte. »Ich danke Euch.«
    Rudolfo neigte den Kopf. »Gerne geschehen.« Er wendete sein Pferd. »Wir alle haben noch etliche Meilen zu bewältigen«, sagte er, »deshalb werde ich Euch nicht länger aufhalten, Hauptmann.« Er ließ seinen Blick noch einmal über die Karawane und die leeren Gesichter der Flüchtlinge schweifen. Leute, die ihre Heimat und ihr Leben hinter sich ließen, weil sie auf etwas Besseres hofften. Da kam ihm ein Gedanke, und er wandte sich noch einmal an den Hauptmann: »Sagt Euren Leuten, dass König Rudolfo sie in ihrer neuen Heimat willkommen heißt. Sie alle werden uns helfen, das Licht zu hüten, während wir daran arbeiten, eine bessere Welt zu schaffen als die, in die sich die unsere verwandelt hat.«
    Der Hauptmann lächelte, und Rudolfo sah Hoffnung in seinem Blick. »König Rudolfo ist äußerst großzügig.«
    Er erwiderte das Lächeln. »Glaubt mir, Hauptmann, Ihr alle werdet hart dafür arbeiten. König Rudolfo ist mindestens so raffiniert wie großzügig. Habt eine gute und sichere Reise.«
    »Jawohl«, gab der Hauptmann zurück. »Und Ihr auch, Späher. «
    Und damit wandte Rudolfo sich um und ritt zurück zu seinen Männern. Sie trieben ihre Pferde an und ließen die Karawane hinter sich zurück, während sie nach Süden weiterritten und beobachteten, wie die niedrigen Hügel um sie herum immer höher wurden.
    Aber während sie ritten, spürte der Zigeunerkönig, wie sich ein dunkles Leichentuch auf ihn herabsenkte. Die Dinge standen schlechter, als er sich vorgestellt hatte, und nun wandte er ihnen den Rücken zu – um eines kleinen und schwächlichen Lebens willen, das gerettet werden musste.
    Vielleicht, dachte Rudolfo, während er seinen Hengst weitertrieb, lagen Liebe und Pflicht gar nicht so weit auseinander.

Kapitel 8
    Neb
    Die Mahlenden Ödlande erstreckten sich vor Neb, so weit er blicken konnte. Sie lagen unter dem weißen, schweren Licht eines Winternachmittags, dem nicht mehr die Kraft der Dämmerung innewohnte, die er noch am Morgen gesehen hatte. Dennoch war es ein beeindruckender Anblick, und wann immer die Zeit es in den letzten beiden Tagen zugelassen hatte, war er die schmalen Stufen hinaufgestiegen, um seinen Platz auf dem höchsten Punkt der Mauer einzunehmen und nach Osten zu blicken.
    Gib Acht auf Renard.
    Grauer Fels und Buschwerk bestimmten die Ostseite des Hüterwalls, wo sich die Whymerische Straße den steilen Bergpass hinabwand und sich dann hinter scharfen Vorsprüngen aus Granit verlor, die zu sorgsam platziert schienen, als dass sie das Ergebnis von langfristigen geologischen Veränderungen hätten sein können. Weiter unterhalb der steilen Hänge kam die Straße hin und wieder ins Blickfeld, trotzdem konnte Neb nicht den gesamten Verlauf einsehen. Eine verschmierte Rauchfahne weiter unten und im Süden wies auf eine Siedlung hin, die er für die Weitschreiterstadt hielt, eine kleine Ansammlung von Ödleuten, die im Schatten des Hüterwalls lebten und einst mit den Androfranzinern in ihren schwarzen Talaren Handel getrieben hatten.
    Neb hatte genug über diesen Ort gelesen, um dem Glauben zu
verfallen, er würde ihn bereits kennen, aber auch hier galt wie schon so oft in seinem Leben, dass das, was er in Büchern, Berichten und Tagebüchern gelesen hatte, nicht mit dem zu vergleichen war, wie es wirklich war, hier zu stehen und auf etwas hinauszublicken, das einst ein lebendiges, blühendes Land gewesen war.
    Unsere verheerte Wiege , dachte er mit einem Erschauern. Dort draußen lockte der Schutt einer vergangenen Welt und versprach jedem, der mutig genug war, sich ans Graben zu machen, Bruchstücke

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