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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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des verbliebenen Lichts. Riesige Seen aus geschmolzenem Glas und Stein, mancherorts zu glatten Dünen erkaltet, an anderen Stellen zu gezackten Hügeln, legten ebenso Zeugnis ab von Xhum Y’Zirs Zorn wie der Schotter aus geborstenem Granit und zersprungenen Edelsteinen und die Salzdünen von Meeren, die verdampft waren, um den Mord an den sieben Hexenkönigen zu rächen, die gemeinsam mit ihrem Vater geherrscht hatten. Von hier aus sah man nicht mehr als eine von Felsen übersäte Wüste, durchzogen von Streifen aus Buschland, wo immer genug Wasser das graugrüne Farnkraut ernähren konnte, das hier wuchs. Aber aus der Nähe, wie Neb wusste, würden sie erkennen, dass sie vor dem einen, riesigen Grab der Alten Welt standen, die nicht mehr war.
    Neb hörte, wie Aedric hinter ihm heraufkam, und drehte sich um, um zu zeigen, dass er selbst hier an seine Späherausbildung dachte. Aedric nickte anerkennend. »Du wirst besser.«
    Neb erwiderte das Nicken. »Ich danke Euch, Hauptmann.« Er spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Seit ihrer Ankunft war er oft auf dem Wall gewesen, und plötzlich wurde ihm bewusst, dass ihn das jünger erscheinen ließ, als er wahrgenommen werden wollte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Aedric wandte sich nun seinerseits dem großartigen Ausblick zu.
    »Das nenne ich ein Schauspiel«, sagte der Erste Hauptmann. Von dieser Höhe aus konnten sie gut und gerne fünfhundert
Meilen nach Osten blicken, bis zu einer weiteren Linie aus dunklen, zerklüfteten Bergen.
    Neb sah zu dem kleineren Mann hinüber. »Wart Ihr schon in den Ödlanden?«
    Aedric schüttelte den Kopf. »Nein«, erwiderte er, »näher als jetzt bin ich nie gekommen. Aber mein Vater war dort, genauso wie Rudolfo.« Er machte eine Pause, und Neb versuchte, ein Anzeichen von Trauer in Aedrics Stimme zu erkennen, als der junge Hauptmann seinen Vater erwähnte. »Es ist lange her«, sagte er. »Als ich noch ein Junge war.«
    Das war seltsam, dachte Neb. Der Orden hatte äußerst sorgsam ausgewählt, wen er über den einsamen Pass ließ, der die Neue Welt mit der Alten verband. »Was haben sie dort getan?«
    Aedric zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht.« Er kehrte der Aussicht den Rücken zu und blickte stattdessen nach Westen auf eine weiße Wand, wo der Himmel die Hügel mit ihrer frischen Schneedecke berührte. Die Wolken auf der Westseite des Walls ließen ihnen keine nennenswerte Sicht, und das Wetter wurde mit jedem Tag schlechter. Bald wäre selbst die Straße unpassierbar, wenn sie nicht die dampfgetriebenen Schaufeln anschürten, die die Androfranziner einst benutzt hatten, um den Weg freizuhalten und den Fluss der archäologischen Funde ungehindert nach Windwir strömen zu lassen. Und das Letzte, was Neb gehört hatte, war, dass Rudolfo und Aedric sich entschieden hatten, die Straße nicht offenzuhalten, weil sie das Wetter als Verbündeten in ihrer neuen Rolle als Wächter des Tores nutzen wollten. Es machte ihn traurig, denn in dieser Entscheidung lag eine andere eingebettet, die sie nicht direkt ausgesprochen hatten: Sie würden die Straße nicht brauchen, weil sie nicht vorhatten, weitere Grabungen in den Ödlanden durchzuführen.
    Ein leises Pfeifen kam den Wall herauf, und Aedric wandte sich zu der schmalen Steintreppe neben ihnen. »Isaak ist fertig und wartet auf uns«, sagte er.

    Neb ließ den Anblick der Ödlande noch einmal auf sich wirken, sein Verstand überwältigt angesichts der Meilen der Verheerung, die sich nach Norden, Süden und Osten erstreckten. Dann zwang er sich, Aedric die Stufen hinab zu folgen.
    Der Wachhauptmann hatte den leblosen Metallmann in einer Ecke der Küche auf einen langen Holztisch gebahrt. Dort, mitten in der Küche, hatte die stählerne Leiche unter einer dicken Wolldecke gelegen, bis Isaak und die anderen eingetroffen waren. Neb trat ein und sah, dass Isaak den Raum mittlerweile übernommen hatte – ein Tisch war von Federn und Pergament übersät, und auf dem anderen lagen seine Werkzeuge ausgebreitet. Angeschlagen und vernarbt lag der rätselhafte Metallmann auf die Seite gedreht auf dem Tisch, ohne Talar und mit geöffnetem Rücken. Isaak beugte sich mit einem langen, schmalen Schraubenschlüssel in der Hand über ihn. Er blickte auf, als Neb und Aedric an der Tür den Schnee von ihren Füßen klopften.
    Neb ging als Erster hinein. »Kann er sprechen?«
    Isaaks Augen öffneten und schlossen sich flatternd. »Ja«, sagte er. »Sobald ich ihn wieder in Betrieb

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