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Lobgesang

Titel: Lobgesang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Scholes
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einem Gang, der in das Dorf und die Nacht hinausführte. Hinter ihr schlängelten sich die Tunnel spiralförmig hinab zu den tieferen Kammern, in denen das Buch der Träumenden Könige aufbewahrt wurde.
    Während die alten Männer Platz nahmen, sahen sie zu ihr auf, ihre Gesichter von Sorge und Trauer gezeichnet. Nachdem sie jedem in die Augen geblickt hatte, berief sie mit den Worten Shadrus’, des ersten Sumpfkönigs, den Rat der Zwölf ein. »Die Heimat ruft uns, während wir durch dieses Land des großen Kummers wandern«, sagte sie und ließ dabei ihren Blick durch die Höhle und über die alten Männer schweifen, die den Rat bildeten.
    Im Chor antworteten die Zwölf: »Mögen die Träumenden Könige den Heimatsucher erwecken, damit wir unseren Weg finden können.«
    Winters nickte langsam und blickte von Mann zu Mann. »Möge der Heimatsucher uns getreu in unser verschollenes und gelobtes Land führen.«
    »Komm bald, Heimatsucher, und finde unsere Heimat«, sprachen sie mit einer Stimme. Sie waren die Ältesten und Ehrwürdigsten ihres Volkes, von ihren Klans berufen, weil ihnen an Weisheit und Einsicht niemand gleichkam. Die meisten waren in
jungen Jahren Krieger gewesen, hatten Überfälle auf die Benannten Lande unternommen und Scharen von mit Schlamm und Asche bemalten Plänklern geführt, um ihre Nachbarn mit Furcht zu schlagen und die spärlichen Vorräte der Sümpfler aufzufüllen.
    Niemand trieb Handel mit dem Sumpfvolk, solange er nicht unter Druck gesetzt wurde. Bis ihr Vater den Fall von Windwir zum ersten Mal in seinen Träumen gesehen hatte, waren Klingen und Blut den Sümpflern das liebste und beste Druckmittel gewesen. Es fiel ihnen nicht schwer, sich zu rechtfertigen, wenn sie einfach nahmen, was sie brauchten – schließlich hatten die grauen Talare und ihre Garde ihnen ihr Land geraubt.
    Aber dann hatte König Mardic Windwir fallen sehen und war Zeuge geworden, wie Finsternis die Sonne verschlang. Er hatte das Licht gesehen, das plötzlich am Himmel erschien und von der Stadt der Androfranziner nach Osten und Norden zog, um sich auf den Wäldern der Zigeuner niederzulassen, und in diesem Augenblick hatte er erkannt, dass die Klinge des Zigeunerkönigs den Weg in die Heimat bewachen würde. Am nächsten Morgen hatte er persönlich eine Schar von Plänklern geführt, um gegen König Jakobs Wälder zu reiten.
    Natürlich war Winters zu jener Zeit noch nicht einmal geboren gewesen. Und ihr Vater war praktisch ein Fremder für sie, war den Großteil ihres fünfzehnjährigen Lebens über tot gewesen. Aber sie hatte die Worte gelesen, die er dem Buch der Träumenden Könige hinzugefügt hatte, und jetzt fügte sie ihre eigenen Worte zu den seinen und jenen ihrer Vorväter hinzu.
    Winters blickte die alten Männer an und schob ihre Erinnerungen beiseite. »Zwietracht hat in das Haus von Shadrus Einzug gehalten«, sagte sie. Sie konnte den Kummer in ihrer Stimme hören, während sie sprach, konnte den Klumpen in ihrer Kehle spüren. Sie deutete auf den Ausgang der Höhle. »Dort draußen liegen sechs der Unseren, die inzwischen an den Magifizienten
verstorben sind, die ihre Körper nicht verkraften konnten. Und im Reich des Zigeunerkönigs ruht unter der Erde die Leiche von Hanric, während seine Seele durch die Niederen Gefilde wandert, von der Hand seines eigenen Stammes getötet.« Wiederum wurde sie von Trauer erfasst – einer Trauer, die tiefer ging, weit über Hanric hinaus –, und sie zögerte. Erst gestern hatte sie den Vogel erhalten, während sie sich noch auf ihrem langsamen Nachhauseweg befunden hatte, und sie hatte über die Neuigkeiten geweint. Weitere unerklärliche und grundlose Angriffe, die jenen ähnelten, denen ihr Schatten und der Kronprinz von Turam zum Opfer gefallen waren; einer der Erschlagenen war noch ein Kind gewesen, das in seinem Bett geschlafen hatte. Es brach Winters das Herz. Sie schluckte und spürte die Tränen in ihren Augen. »Neben unserem eigenen Verlust«, sagte sie, »wurden auch andere erschlagen, und obwohl die Logik der Androfranziner nicht unserer Art entspricht, ist es vernünftig, davon auszugehen, dass auch diese Anschläge von den Kindern des Shadrus ausgeführt wurden.«
    Der älteste und weiseste der Zwölf hielt ihren Blick fest, und sie sah, dass seine Augen rot und wässrig waren. »Dies sind düstere Botschaften«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich habe mir die Leichen angesehen, und mein Enkel ist unter ihnen.«
    Unwillkürlich schnappte

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