Locke greift an
Fußballfan, rief eine außerplanmäßige Pause aus. Die Patienten hielten sich die Backe, mussten aber warten, bis der Zahnarzt seinen Dienst wieder aufnahm. Durch die nur angelehnte Tür zum Behandlungsraum vernahmen sie den Radioreporter Treuckelmann.
»Nur noch neunzehn Minuten, liebe Fußballfreunde«, rief er ins Mikro. »Halten Sie mich für verrückt oder etwas übergeschnappt, aber jetzt heißt es: Daumen drücken, denn die Italiener kommen schon wieder. Diesmal über den linken Flügel, eine gefährliche Flanke, früher hätte man Bananenflanke dazu gesagt, aber dieser Begriff ist aus der Mode gekommen.«
Es war zu hören, wie er über den eigenen Witz zu kichern begann, aber dann brach das Kichern ab.
»Rott ist draußen. Er hat den Ball, bringt ihn wieder schnell ins Spiel. Guter Abwurf. Über das Mittelfeld kommt der Ball zu Patrick Schubert. Der lässt die Pille nur kurz von seinem rechten Fuß abprallen. Zu Erde! Heiko Erde könnte schießen, nein, er müsste schießen, macht es aber nicht. Gibt den Ball nochmals ab, zu Erik Stössken. Und Stööööösskennn schießt! Der italienische Torhüter ist mit den Fingerspitzen noch am Ball. Pfosten! Abgeprallt.« Und jetzt konnte man den Reporter kaum verstehen, so überschlug sich seine Stimme. »Stööööösskennn! Er hat den Ball wieder, er ist wieder dran. Und - Tor! Tor! Toooooor! Die Pille liegt im Netz! 2:0 für Deutschland!«
Aus dem Behandlungsraum des Zahnarztes hörte man das Klirren von Glas. Ein mit Cola gefüllter Zahnputzbecher war zu Bruch gegangen. Evas Vater konnte einen Jubelschrei nicht unterdrücken. Dann hielt er sich erschrocken den Mund.
Drei Kilometer Luftlinie von der Praxis entfernt, stand vor dem Schaufenster eines Geschäftes ein Mann mit einem Hund und klopfte wie ein Wilder an die Scheibe. Lockes Vater!! Er war auf seinem Spaziergang nicht sehr weit gekommen. Ein riesiger Flachbildschirm zeigte das Spiel - und Mann und Hund waren davor kleben geblieben. Ein Verkäufer, der sich Sorgen um die Scheibe machte, trat vor das Geschäft, wo er völlig verblüfft Herrn Schuberts Umarmung in Kauf nehmen musste. Der stammelte: »Mein Sohn ist dabei! 2:0 für Deutschland!«, was den Angestellten bewog, sich schleunigst in das Geschäft zurückzuziehen …
Das Stadion in Berlin tobte. Die deutsche Mannschaft lag sich jubelnd in den Armen. Stettler schrie gegen den Lärm
an: »Jetzt nur nicht die Ordnung verlieren! Alles zurück in die Abwehr.«
Als wenig später Locke ausgewechselt wurde - er war völlig kaputt -, sprang das Publikum auf, klatschte und schrie. Patrick winkte einmal kurz in die Massen, dann setzte er sich, in eine Decke gehüllt, auf die Bank.
Die Italiener wirkten völlig demoralisiert. Es passierte nichts mehr. Die Begegnung war entschieden. Als der Abpfiff kam, gratulierten die Spieler aus dem Süden fair der deutschen Mannschaft und man tauschte die Trikots als Andenken.
Patrick, nun im azurblauen Trikot, machte sich durch den Tunnel schnell auf den Weg zurück in die Umkleidekabinen. Im Gang standen bereits die türkischen Spieler und die Polen, bereit für das nächste Gruppenmatch!
Matz lief lachend, als sei nie etwas zwischen ihnen vorgefallen, auf Locke zu. Die beiden umarmten sich.
»Klasse, dein 1:0! Gratuliere. Starkes Spiel von euch! Vielleicht sehen wir uns ja im Endspiel wieder.«
Locke nickte. »Stimmt! An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht.« Er schlug dem Freund auf die Schulter. »Aber jetzt gewinnt ihr erst mal gegen die Polen.«
Die Jungs aus der Türkei setzten den guten Rat von Locke souverän um. Polen hatte gegen die Mannschaft von Matz keine echte Chance und verlor mit 0:3.
Die Tabelle sah jetzt so aus:
Damit war die Situation sonnenklar. Wenn Deutschland das letzte Gruppenspiel gegen Polen gewinnen sollte, war man in der Zwischenrunde. Und die Türkei hatte dieses Ziel bereits erreicht!
Spielfreier Tag im deutschen Lager. Ausruhen, sich um seine Blessuren kümmern. Tischtennis, eine Partie Schach. Der Masseur, schon seit Urzeiten beim DFB angestellt, war ein irrer Typ, der über die Nationalspieler vergangener Zeiten verrückte Geschichten erzählen konnte. Zum Beispiel die von dem Trainer, der seinen Platzwart, ein ewig nörgelnder unangenehmer Typ, an den Pfosten gebunden hatte. Die Spieler sollten nun das genaue Schießen üben und dabei nach Möglichkeit den armen, angebundenen Mann treffen.
Locke, der auf der Massagebank lag, war entsetzt. »Das ist aber
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