Lockende Kuesse
Am Ende klebte die Marmelade nicht nur auf seinem Gesicht, sondern auch in seinen Haaren. Er riss das Mündchen auf und gähnte herzhaft.
»Ich glaube, du bist ganz schön müde«, sagte Kitty.
»Nicht müde!«, protestierte er dickköpfig, musste jedoch zur selben Zeit wieder gähnen.
»Komm, sei ein braver Junge, und mach jetzt ein kleines Mittagsschläfchen. Später, wenn die Nanny dich dann badet, komme ich und schaue dir zu.«
»Kann ich dich vollspritzen?«
»Nein, nicht in diesem Samtkleid, kannst du nicht.«
»Dann spritz ich die Nanny voll«, entgegnete er.
»Du kleiner Schlingel, ich wette, dass du das tust«, sagte sie lachend.
»Daddy?«, erkundigte er sich hoffnungsvoll.
»Na ja, ich glaube, der lässt sich auch von dir nass spritzen«, vermutete Kitty und legte ihn, so wie er war, ins Bettchen. Nur die dreckigen Schuhe hatte er unten ausgezogen.
»Ich hab dich lieb«, flüsterte sie.
»Hab dich lieb«, erwiderte er süß.
Sie ging rasch hinüber in ihr Schlafzimmer, um sich zu kämmen, bevor Charles heimkam. Es war schon fast fünf, und er kam immer pünktlich auf die Minute. Sie war gerade am oberen Treppengeländer, als sie ihn hereinkommen hörte.
»Kathleen, komm und schau, wen ich für dich mitgebracht habe!«, rief er fröhlich.
Sie hob ihre Röcke und wollte schon die Treppe hinunter - eilen, als seine nächsten Worte sie zögern ließen.
»Kannst du dir vorstellen, dass dieser verdammte Kerl schon monatelang wieder in England ist und uns nie besucht hat?«
Ihre Augen suchten und fanden die finstere Gestalt, die hinter Charles stand. Wie angewurzelt blieb sie stehen.
»Nein, das ist kein Geist - er ist's wirklich. Dein Cousin Patrick!«
Er schien ebenso wenig von diesem Treffen erbaut zu sein wie sie. Steif und widerwillig trat er einen Schritt vor.
»Bin heute Nachmittag mit ihm zusammengerumpelt und musste ihn praktisch hierher schleifen«, fuhr Charles begeistert fort.
Sie schwankte und musste sich rasch am Geländer festhalten, um nicht umzukippen. Die Zeit schien stillzustehen, als sie einander ansahen. Patricks Mund war zu einem grimmigen Strich zusammengepresst, jeder Muskel seines Körpers wirkte angespannt. Seine Augen waren scharf wie die eines Falken; nichts entging ihnen. Sein aristokratisches Gesicht war arrogant zur Seite geneigt. In provozierend gelangweiltem Ton sagte er: »Wie geht's, Cousinchen?«
Da schwoll jäher Zorn in ihr an, und sie schritt mit blitzenden Augen die Treppe hinunter. »Hat wohl nicht geklappt mit der Heirat mit dieser Amerikanerin?«, fragte sie schneidend.
»Das Heiraten überlasse ich anderen«, erwiderte er in gefährlichem Ton.
»Ah, du weißt ja gar nicht, was dir da entgeht, mein Junge«, sagte Charles herzlich, der keine Ahnung hatte, welch explosives Potenzial ihre Bemerkungen bargen.
Patrick versteifte sich sichtlich, während er Kitty mit bohrendem Blick musterte. Sie konnte seinen Hass fühlen, aber nicht begreifen. Sie war doch diejenige, die ein Recht hatte, ihn zu hassen, nach allem, was er ihr angetan hatte.
Charles drückte jedem ein Glas Sherry in die Hand und drängte sie in den Salon. »Und jetzt kommt das Allerbeste. Warte nur, bis du meinen Sohn gesehen hast. Du wirst gelb vor
Neid, glaub mir«, sagte er lachend und eilte auch schon auf die Treppe zu.
»Charles, nicht!«, rief Kitty. »Er macht gerade ein Mittagsschläfchen, und du weißt doch, wie ich es hasse, wenn du ihn störst«, flehte sie.
»Nonsense; was ist bloß in dich gefahren? Du weißt doch, dass ich ihn allen und jedem vorführen muss.« Er zwinkerte Patrick freundlich zu. Höflich murmelte dieser: »Hab gehört, dass ihr ein Kind habt.«
Dann standen sie da, wie zwei Protagonisten, die wehrlos den Ereignissen ausgeliefert sind. Keiner von beiden sagte ein Wort. Patricks Kiefermuskeln traten wie Eisenstränge hervor. Kittys Unterlippe zitterte so stark, dass sie daraufbeißen musste. Jeder konnte den Zorn des anderen spüren.
»Da wären wir. Schau mal, das ist dein Onkel Patrick. Er ist den ganzen Weg von Amerika hergekommen«, drängte Charles den Kleinen.
Patrick blickte auf und sah den kleinen Jungen die Treppe herunterkommen. Er schleifte einen fleckigen kleinen Esel ohne Schwanz hinter sich her. Sein Blick verengte sich, als er sah, wie alt das Kind bereits war. Kitty, die fürchtete, ihr Kind könnte vor dem finsteren Mann Angst bekommen, nahm ihn beschützend auf den Arm, und Patrick sagte: »Guter Gott, ich dachte, er wäre noch ein
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