Lockende Kuesse
auf den Posten des Finanzministers hatte, dagegen jedoch gute Aussichten auf das Amt des Obersten Zollinspektors für den Hafen von London.
Im Vorraum reichten die Herren ihre Capes und Hüte den Pagen zur Rechten, während die Damen ihre Mäntel links abgaben. Vor dem Eingang zum Ballsaal kam man wieder zusammen. Als Charles sich umwandte, sah er zu seinem Schrecken, dass Kitty ein flammend rotes Seidenkleid trug und leuchtend rote Mohnblumen im Haar hatte.
Trocken dachte er, da geht es hin, mein neues Amt.
»Ihre Gnaden, der Herzog und die Herzogin von Manchester«, ertönte es quer durch den großen Saal, gefolgt von einer schockierten Stille, die fast minutenlang anhielt. Kitty wand sich innerlich und wünschte nun sehnlichst, nicht ihrem spontanen Impuls gefolgt zu sein. Dann löste sich ein Herr aus der Gruppe von Höflingen und schritt durch den Ballsaal auf sie zu. Als er vor ihr stand, machte er eine Verbeugung.
»Dürfte ich um diesen Tanz bitten, Madame?«
»Ich danke Ihnen, Prinz Albert, Sie sind der mutigste Mann im Saal.« Er zog sie rasch hoch und ein erleichterter Seufzer ging durch die Reihen. Sie war bei Hofe akzeptiert worden.
Als sie später mit Charles tanzte, sagte sie ihm, dass sie ihre Laune bedaure. »Jetzt muss ich sehen, wie ich möglichst ohne Gesichtsverlust von meinem hohen Ross herunterkomme. Liebling, es täte mir schrecklich Leid, wenn ich nun deine Chancen bei der Königin verdorben hätte.«
»Nonsense; wahrscheinlich kriegt sie jetzt Mitleid mit einem armen Mann wie mir, der sich mit einem solch unverbesserlichen Fratz herumplagen muss«, sagte er und drückte sie fest an sich, bevor er sie losließ. Ihr graute vor dem Kommenden, und als sie Victoria schließlich gegenübertreten musste, sank sie in einen tiefen Hofknicks und wartete darauf, angesprochen zu werden.
»Sie ist Irin, nicht wahr?«, erkundigte sich die Königin.
Kitty nickte und begann: »Euer Majestät, es tut mir so Leid ...«
»Kein Grund, sich zu entschuldigen; Sie würden überall hervorstechen wie eine Tigerlilie auf einer Beerdigung.«
Kitty bekam viele Angebote, zu Tisch geführt zu werden. Sie wählte Lord Liverpool, der scherzte, dass Liverpool und Manchester immer Arm in Arm gehen sollten. »Da kommt der Premierminister«, zischelte Lord Liverpool.
Mit einem einfältigen Blick auf Queen Victoria verkündete Lord Palmerston: »Ah, meine Damen, Ihrer Sache ist Dank unserer gütigen Königin Victoria ein großer Dienst erwiesen worden. Nun, da ein Mitglied des schönen Geschlechts regiert, sind die Frauen von ihren Ketten befreit worden.«
»Da bin ich anderer Meinung, Herr Premierminister«, sagte Kitty. »Die Regency-Periode und die Zeit König Georges waren, offen gesagt, recht ungezügelt. Doch Victorias prüdes Regiment hat uns alle zu Heuchlern gemacht.«
»Was um Himmels willen meinen Sie damit, Madame?«
»Nun ja, nehmen Sie beispielsweise den schönen Brauch des Nachmittagstees.«
»Meine liebe Dame, Sie wollen doch nicht andeuten ...«
»Doch, natürlich will ich andeuten! Große gepolsterte Sofas sind bequemer als Federbetten! Und hier kommt unsere Heuchelei ins Spiel: die viktorianische Frau steckt von Kopf bis Fuß in Pölsterchen, Korsetts und Faltenbergen. Fast unmöglich für einen Mann, da heranzukommen. Also was ist der neueste Schrei? Das Teekleid, natürlich! Dieses Wunderkleid fällt lose herunter und kann in einem Wimpernschlag abgelegt werden. Unsere Gesellschaft basiert auf Heuchelei, auf So-tun- als-ob. Sich bloß nicht ertappen lassen, das ist die Devise! Letztes Wochenende zum Beispiel, auf unserem Landsitz, da hätte ich ein verdammtes Programm gebraucht, um das Bäumchen-wechsle-dich-Spiel noch verfolgen zu können!«
»Bravo, bravo, meine Liebe«, wurde sie von Lady Derby angefeuert. »Mit den Frauen anderer Männer Tee zu trinken, ist ein schändlicher Brauch.«
Lord Palmerston verbeugte sich zwinkernd vor Kitty. »Ihr Gatte kann sich glücklich schätzen, was ich ihm auch sagen werde, wenn ich ihm seine neue Ernennung bestätige.«
Das Stadthaus in der Strand Lane besaß weite Rasenflächen, die sanft bis zum Fluss hin abfielen. Kitty und Charles Patrick rannten gerade wieder zum Haus hinauf. Die Schuhe des Kleinen waren ganz schlammig vom Flussufer, und er hatte so wild mit seiner Mama Fangen gespielt, dass sein schwarzer Lockenschopf ganz zerzaust war. Beide sahen wild und zerzaust aus. Sie gingen hinauf in sein Zimmer, um dort eine Teepause zu machen.
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