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Lockende Kuesse

Lockende Kuesse

Titel: Lockende Kuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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bestand, mit deren Hilfe sie sich ganz gut verständigen konnten. Die Weber und Weberinnen waren ein grobes Völkchen und übertrafen einander mit vulgären Geschichten. Kitty lernte rasch, dass Geburt, Tod und Sexualität Alltäglichkeiten waren, über die offen und rückhaltlos gesprochen wurde. Genau genommen waren sie das ja auch. Sie lernte, über die schmutzigen Witze zu lachen und ab und zu selbst einen zu erzählen. Man hielt fest zusammen, und warnte sie schon am ersten Tag, niemals mit dem Aufseher hinter die Webstühle zu gehen, egal mit welchen Mitteln er auch versuchte, sie dorthin zu drängen. Als Kitty gerade vor einem großen Webstuhl stand und auf die erste leere Spule wartete, kam der Aufseher mit einem Zettel in der Hand zu ihr. »Kitty Blakely, Sie werden zu Hause gebraucht«, sagte er verächtlich und ließ den Zettel fallen, als wäre er etwas Ekel erregendes. Kitty vermutete, dass er wohl gemerkt hatte, warum sie nach Hause zitiert wurde: ein neues Baby war unterwegs, und jeder sagte doch, dass sich die Iren vermehrten wie die Karnickel. Sie fand Ada zusammengesunken auf einem Stuhl sitzend vor, eine Hand in ihr schwarzes Umhangtuch gekrallt, die andere zusammengeballt an den dicken Bauch gepresst.
    »Warum ist kein Feuer im Kamin?«, fragte Kitty.
    »Kein Brennholz«, stöhnte Ada.
    Kitty ging in die Küche und tauchte mit der Axt wieder auf. Sie ergriff rasch einen Stuhl, stellte ihn aber wieder weg, weil sie ja nur zwei hatten. Dann fiel ihr ein, dass die Rückwand der Kommode lose war, also nahm sie diese, um ein Feuer zu entzünden. Dann lief sie fort, um die Hebamme zu holen. Sie musste nicht weit gehen, da es hier fast ebenso viele Hebammen wie Pubs gab.
    Mutter Byrum war eine kleine, rundliche Frau. Ihre Tasche stand immer an der Tür bereit, sodass sie sofort mitkommen konnte.
    »Wieso ist hier noch kein Bett hergerichtet worden?«, erkundigte sich Mutter Byrum stirnrunzelnd.
    Kitty sagte: »Ada meint, alle Kinder wären auf der Küchentür geboren worden.«
    »Ach ja, stimmt. Jetzt fällt's mir wieder ein. Nun ja, dann hilf mir mal, Mädel. Steh nicht so dumm rum.«
    Sie hängten die Tür aus, legten sie auf den Boden und breiteten ein relativ sauberes Laken darüber.
    »Also, erst mal brauch ich heißes Wasser, Mädel. Setz den Kessel auf. Ich brauche eine Tasse Tee!« Sie hängte ihr Umhängetuch auf und zog einen Stuhl ans Feuer. »Wo sind die anderen Bälger?«
    »Big Florrie von gegenüber behält sie bis morgen«, erwiderte Ada keuchend von ihrem Behelfsbett auf der Tür.
    »Doch nicht die, der ein Zacken aus der Krone gebrochen ist?«, fragte Mutter Byrum entsetzt.
    »Wieso ist ihr ein Zacken aus der Krone gebrochen?«, fragte Kitty.
    Die Hebamme warf einen viel sagenden Blick auf die in den Wehen liegende Ada und antwortete: »Na wieso schon! Na ja, ist ja nicht ihre Schuld. Ihr Mann arbeitet als Türsteher in der Music Hall und macht dauernd mit den Chormädchen rum.«
    Ada konnte nicht länger warten, doch Mutter Byrum trank trotzdem zuerst ihren Tee aus, bevor sie sich gütigst herabließ, bei der Geburt zu helfen.
    »Dabei brauche ich keine Hilfe, also geh mir aus dem Weg, aber sauber machen musst du nachher, das ist nicht mein Job.«
    Kitty nickte, setzte sich vor den Kamin und starrte ins Feuer. Sie versuchte, sich vor den Schreien der Gebärenden abzuschotten, indem sie sich auf die Grillen konzentrierte, die hinten im Kamin zirpten. Sie konnte sich vorstellen, dass es Haustiere waren, deren Käfiggitter aus einer Feuerwand bestanden. Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Ich glaube, da ist noch eins - ja, es sind Zwillinge!«
    »O Gott, nein!«, protestierte eine schwache Stimme. In erstaunlich kurzer Zeit verkündete die Hebamme: »Na also, das wär's. Eins von jeder Sorte. Welches willst du behalten?«
    »Den Jungen natürlich«, flüsterte Ada.
    »Und was ist mit ihr?«, flüsterte Mrs. Byrum mit einem Kopfrucken in Kittys Richtung.
    »Die wird nichts sagen«, kam die leise Antwort.
    Kitty fragte sich wild, ob sie das meinten, was sie glaubte, dass sie meinte. Ein klatschender Schlag ertönte, ein dünner Schrei und die Hebamme legte den Jungen in die Arme seiner Mutter. »Hier, wasch das mal.« Sie reichte Kitty den toten Säugling, und sie trug das erbärmliche Bündel in die Küche. Sie sah und fühlte zwar, was sie tat, doch ihr Gehirn war wie gelähmt. Automatisch tat sie, wie geheißen, und wusch das tote Mädchen. Sie zog ihm ein kleines Nachthemd an,

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