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Lockende Kuesse

Lockende Kuesse

Titel: Lockende Kuesse Kostenlos Bücher Online Lesen
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das sie letzte Woche genäht hatte, doch dann wusste sie nicht recht, was sie mit dem leblosen Wesen machen sollte und legte es schließlich in ein Küchenregal. Sie ging wieder zurück ins Wohnzimmer, und die Hebamme drückte ihr eine Emailschüssel in die Hände. »Leer die aus, und wasch diese blutigen Sachen. Ich geh jetzt. Ach, übrigens, erinner den Herrn des Hauses, dass ich noch nicht mal fürs letzte bezahlt worden bin!«
    Zu Kittys Erleichterung kamen anschließend die älteren Kinder aus der Schule zurück, und sie beschäftigte sich, indem sie ihnen zu essen gab. Dann schickte sie sie zum Spielen auf die Gasse hinaus, um sie nur ja von der Küche fern zu halten. Sie machte Ada eine Tasse Tee und schlich sich dann ängstlich in die Küche zurück, um zu sehen, ob da wirklich ein toter Säugling im Küchenregal lag. Sein Gesichtchen wirkte wächsern wie das einer Puppe, und Kitty beschloss, dass es genau das war.
    »Nur eine Wachspuppe«, flüsterte sie.
    Nachdem sie das blutige Laken ausgewaschen und aufgewischt hatte, waren alle Kinder von der Schule nach Hause gekommen.
    »Ihr schlaft heute bei Big Florrie«, sagte Kitty zu ihnen, und alle trotteten über die Straße zur Nachbarin.
    »Kitty, könntest du auch rübergehen und Big Florrie ein bisschen zur Hand gehen? Jack wird mich nach oben bringen, wenn er von der Arbeit heimkommt.«
    Kitty brachte nicht nur Adas Kinder zu Bett, sondern kümmerte sich auch noch um Big Florries Brut. Als es allmählich dunkel wurde, meinte Kitty: »Ich gehe jetzt besser heim. Es ist spät, und Jack wird bald nach Hause kommen.«
    Langsam ging sie über die Gasse zurück. Jack Blakely trat ihr an der Tür entgegen und reichte ihr ein in Zeitungspapier gewickeltes und verschnürtes Bündel.
    »Bring das zum alten Tommy Ferguson, dem Nachtwächter der Weberei. Für zwei Shillinge wirft er's in den Hochofen. Sag ihm, es ist ein toter Hund.« Kitty nahm das Paket und machte sich auf den Weg. Sie sah die Verschnürung und fühlte das Zeitungspapier, aber sie wollte nicht daran denken, was in dem Päckchen war. Sie dachte stattdessen an Weihnachten, das nur mehr eine Woche fern war. Der alte Tommy stand gleich hinter dem hohen Zaun, der die Weberei umgab. Sie blickte auf, streckte ihm mit einer Hand das Bündel hin, mit der anderen das Geld, brachte aber kein Wort hervor. Der alte Tommy nahm ihr beides ab. »Noch ein toter Hund?«, krächzte er augenzwinkernd und schlurfte davon.
    Die Woche verging rasch, und freudige Aufregung breitete sich unter den Kindern aus, als der fünfundzwanzigste Dezember heranbrach. Kitty und Doris wuschen acht schmutzige Hände und vier kleine Gesichter. Kitty fuhr den Mädchen mit einer Gabel durch die Haare, und dann machten sie sich auf den Weg zur Queen's Street Mission, wo ein Wohltätigkeits-Weihnachtsessen stattfand. Jedes Kind erhielt eine Fleischpastete, einen Rosinenkuchen und einen großen Becher Tee. Dann kam Mr. Poppawell, der spendable Wohltäter, herein, um die Geschenke zu verteilen.
    »Hat jeder eine Fleischpastete bekommen?«, fragte er und strahlte in die Runde.
    »Ja, Mr. Poppawell«, antworteten die Kinder im Chor.
    »Hat jeder einen Weihnachtskracher platzen lassen?«
    »Ja, Mr. Poppawell.«
    »Hat jeder unter dem Tisch eine Papiertüte mit Essensresten gefüllt?«
    »Ja, Mr. Poppawell«, tönte es unschuldig im Chor.
    »Die könnt ihr gleich wieder ausleeren, denn dazu seid ihr nicht hier!«
    Alle Kinder stellten sich vor Mr. Poppawell an und seine Helfer begannen mit dem Verteilen der Geschenke.
    »Sehen Sie das hübsche Mädchen da hinten?«, sagte er zu seinem Assistenten und deutete auf Kitty. »Sie hat sich den ganzen Vormittag lang um fünf von den Bälgern gekümmert. Heben Sie die große Schachtel für sie auf. Sieht aus wie ein gutes Mädel, aber ich wette, sie hat nicht viel zu lachen.« Kitty bekam eine große Schachtel. Mit leuchtenden Augen hob sie den Deckel und blickte ins Gesicht einer Wachspuppe. Ihre Kehle verschnürte sich und ihr Mund lief blau an. Sie schüttelte hölzern den Kopf, wollte die Schachtel zurückgeben, doch man drückte sie ihr mit gut gemeinter Beharrlichkeit in die Hände.
    Als sie die Kinder nach Hause gebracht hatte, lief sie drei Meilen weit, bis sie an ein Feld kam. Dort kratzte sie mit einem Stein ein flaches Grab aus und begrub das Baby in seinem Pappsarg. Da es keine Blumen gab, brach sie zwei lange Zweige ab und legte sie in Form eines Kreuzes auf den kleinen Grabhügel.
    Als der

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