Lockende Versuchung
offensichtlich nicht die erste war, die auf einen solchen Einfall gekommen war.
Mr de Voss ließ sich ihre Vorstellungen von dem Gewand und der Maske erklären, und sie beschrieb ihm in einer etwas freien Interpretation von Shakespeares Szenarium ein weidenumstandenes Flussufer. Wortlos nahm der viel beschäftigte Künstler ein großes Stück Papier und einige Stücke bunter Kreide zur Hand und begann, noch während Julianna sprach, eine Skizze zu entwerfen. Mit wenigen gekonnten Strichen setzte er ihre Idee auf die vollkommenste Weise um. Begeistert sicherte Julianna jeden Preis zu, den er für eine ebenso beeindruckende Ausführung in Seide fordern würde, und bat ihn gleichzeitig um strengste Diskretion.
Der Mann strich sich das Haar aus der Stirn. „Seid unbesorgt, Lady Fitzhugh. Meine anderen Aufträge sind ebenso delikater Natur, und ich würde meine Existenz aufs Spiel setzen, wenn ich plaudern würde.“
Den Anlass des Stadtbesuches benutzte Julianna dann auch noch, um Weihnachtseinkäufe zu machen. Seit Wochen hatte sie sich den Kopf über ein passendes Geschenk für Edmund zerbrochen. Die Kosten spielten dabei keine Rolle mehr, seit Jerome gezwungen worden war, ihr Erbteil herauszugeben, aber es sollte etwas ganz Besonderes sein, etwas, das der Tiefe ihrer Zuneigung zu Edmund entsprach. Schließlich war ihr ein Gedanke gekommen, doch zu seiner Ausführung brauchte sie Rat, einen Rat, der nur aus einer bestimmten Quelle kommen konnte.
Als Julianna in dem Stadthaus der Countess vorsprach, saß Vanessa gerade beim Tee. Da sie mit den Vorbereitungen für den Maskenball vollauf beschäftigt war, kam es ihr sehr gelegen, einen interessierten Zuhörer dafür zu bekommen. Erst nach einer ganzen Weile gelang es Julianna endlich, das Gespräch auf das Weihnachtsgeschenk für Edmund zu bringen. Vanessa gab bereitwillig, wenn auch ein wenig mütterlich amüsiert, Empfehlungen und verwies Julianna zudem an einen Kaufmann, mit dem sie bereits zufriedenstellende Geschäfte abgeschlossen hatte.
Erst am späten Nachmittag kehrte Julianna nach Hause zurück und ließ sich sogleich erschöpft auf die Sitzbank in ihrem Salon sinken. Sie war es unbeschreiblich müde, stets und ständig aus ihrem Herzen eine Mördergrube machen zu müssen, und beauftragte Gwenyth, Sir Edmund mitzuteilen, sie habe Kopfweh und könne ihn an Abend leider nicht nach Covent Garden begleiten.
Wie soll ich nur in diesem Jahr das Weihnachtsfest wieder allein mit ihm überstehen, fragte sie sich niedergeschlagen. In der Erinnerung verklärte sich das vergangene Fest als der zaghafte Anfang ihrer Liebe zu Edmund. Damals war sie so naiv und unschuldig gewesen, während sie heute auf jedes ihrer Worte, auf jede Geste würde achten müssen, damit die Vertrautheit des Alleinseins mit ihm sie nicht wieder zu einer törichten Handlung hinreißen konnte … wie in jener Nacht, da sie unbekleidet in seinen Armen gelegen hatte.
Sie aber wird Euch ein Leben lang peinigen .
Diese schreckliche Prophezeiung hallte noch in Edmunds Gedächtnis wider, als er Juliannas Nachricht empfing, die seinen schlimmsten Verdacht zu bestätigen schien: Sie traf sich hinter seinem Rücken mit Laurence Bayard! Nach dem Lunch im „Kakaobaum“ hatte Edmund nämlich durch Zufall ein Gespräch seines Vetters mit angehört, in dem er von seiner neuesten Eroberung berichtete, die zu einem Stelldichein auf den Maskenball kommen würde.
„Wir werden uns vor der Nase ihres grässlichen alten Eheherrn miteinander amüsieren“, hatte Lord Marlwood angekündigt. „Was für eine charmante Abwechslung! Es lebe der Marquis of Blessington!“
Während Laurence mit seinen Begleitern auf das Wohl des Marquis trank, hatte sich Edmund einzureden versucht, dass Laurence keinesfalls Julianna gemeint haben konnte. Dabei hätte er um ein Haar die nächste Bemerkung seines Vetters verpasst, die sich jetzt als von besonderer Wichtigkeit erwies. Laurence hatte nämlich über seine Kostümierung gesprochen und dabei irgendetwas von einem „schwarzen Ritter“ erwähnt.
Den ganzen Rest des Tages kämpfte Edmund unter dem Eindruck der Worte Skeldons gegen seinen Verdacht an. Doch als er auf der Heimfahrt seine eigene Kutsche vor Vanessas Haus erblickte, schienen alle diese Mühen vergebens gewesen zu sein. Er konnte sich nicht vorstellen, aus welchem Grunde Julianna jetzt einen Besuch bei der Countess machen sollte – es sei denn, sie erwartete, einen weiteren Bewohner dort anzutreffen. Ihre
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