Lockende Versuchung
ihm nicht darum gegangen wäre, etwaige Vergeltungsmaßnahmen von Jerome beizeiten durchkreuzen zu können, hätte er nie einen Fuß in diesen Ort gesetzt. Aber Skeldon war auch hier immer noch gefährlich, denn er hatte zahlreiche Freunde in der Londoner Unterwelt. „Macht es kurz. Mit Leuten Eurer Art habe ich nicht viel Geduld.“
„Leute meiner Art?“, erwiderte Jerome höhnisch. „Nun, so sehr unterschiedlich sind wir beide gar nicht – vor allem, wenn es um eine bestimmte weibliche Versuchung geht. Ich habe Eure Blicke beobachtet. Und ob Ihr es nun eingesteht oder nicht, Ihr seid genauso scharf auf das süße Fleisch, wie ich es gewesen bin … nur dass ich mir genommen hätte, was ich wollte.“
Obwohl er sich vorgenommen hatte, sich von diesem Menschen nicht in Harnisch bringen zu lassen, kam sich Edmund durch diesen Vergleich besudelt vor. „Wir sind uns nicht im geringsten ähnlich, Skeldon“, erwiderte er mit Nachdruck. „Und wenn Ihr mir nichts Zutreffenderes zu sagen habt, werde ich meine Zeit nicht länger verschwenden.“
„Nun, dann könnt Ihr Euch ebenso gut selbst die Kehle durchschneiden.“
Edmund schob die Brauen zusammen. „Wollt Ihr mit etwa drohen?“
Skeldon wies mit seinem schmutzigen Zeigefinger auf seinen Besucher. „Ach was, ich will Euch nur Eure Torheit vor Augen führen, Mann. Wie lange, glaubt Ihr, habe ich gebraucht, um Euerm Trick mit der Hochzeit auf die Schliche zu kommen … die Kleine ungefährdet und gemütlich für Euern hübschen Neffen sichern, nicht wahr?“
„Nun, zumindest lange genug, damit die Eheschließung ordnungsgemäß im Kirchenbuch registriert werden konnte.“
„Ihr riskiert eine große Lippe, obwohl Ihr Euch Euern Lieblingswunsch versagen müsst. Was ist, wenn Bayard nie mehr zurückkommt?“, fragte Jerome mit einem niederträchtigen Grinsen. „Ist Euch das nie in den Sinn gekommen, alter Narr? Ihr habt die zwei Dinge aus der Welt geschafft, die Julianna für immer an Euch gebunden hätten: ihre finanzielle Abhängigkeit und ihre Angst vor mir. Eine Expedition um die halbe Welt ist ein gefährliches Unternehmen. Bayard kann jetzt schon nicht mehr am Leben sein. Und wenn sich das eines Tages erweist, wird sie über alle Berge sein, noch ehe Ihr zweimal ihren Namen sagen könnt, denkt an meine Worte.“
Außer sich vor Wut packte Edmund Jerome am Kinn und presste es mit aller Gewalt zusammen, dass die Zähne knirschten. „Merkt Ihr jetzt einmal, wie es ist, die Beute zu sein anstatt der Jäger? Schmeckt Ihr endlich einmal Eure eigene Medizin?“
„Sie lässt Euch glauben, sie empfinde etwas für Euch, nicht wahr?“, presste Jerome höhnisch hervor.
Angewidert ließ Edmund ihn fahren, wandte sich um und rief nach dem Gefängniswärter, damit die Zellentür geöffnet wurde.
„Ihr armer Schwachkopf!“ Jerome gab jedoch noch nicht auf. „Sie ist ihr ganzes Leben lang daran gewöhnt, bemitleidenswerte alte Männer um den Finger zu wickeln. Stellt doch einmal ihre angebliche Zuneigung auf die Probe. Verlangt einen einzigen Kuss oder irgendeine andere fleischliche Lust, die sie so freigiebig mit ihren strahlenden Augen verspricht.“
In diesem Augenblick schloss der Wärter die Tür auf, und Edmund trat auf den Gang hinaus, ohne Skeldon noch eines Blickes zu würdigen. Dieser spie hinter ihm jedoch sein Gift unermüdlich weiter aus.
„Sie sieht in Euch nicht mehr als ein Stück Dreck aus der Gosse, und Ihr werdet sie dafür nur noch mehr begehren!“
Der lange Gefängnisflur war totenstill und schien sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken. Edmund fragte sich, ob die anderen Insassen absichtlich schwiegen, um Skeldon die Möglichkeitzu geben, alle seine Schritte mit seinen wüsten Beschimpfungen zu begleiten.
„Ihr könntet mir beinahe leidtun!“, schrie Jerome noch von Weitem aus vollem Halse. „Wenn ich auch bis ans Ende meiner Tage hinter verschlossenen Türen bleibe oder deportiert oder gar gehängt werde – nun denn. Sie aber wird Euch ein Leben lang peinigen …“
Erst als kein Laut mehr zu ihm drang, blieb Edmund stehen, um tief Luft zu holen.
Als Julianna am anderen Morgen erwachte, galt ihr erster Gedanke dem Kostüm für den Maskenball, und so machte sie sich denn noch am selben Vormittage auf, um bei einem Mr de Voss vorzusprechen, dem Kostümbildner von Covent Garden. Als sie ihn fragte, ob er bereit wäre, auch einen privaten Auftrag zu übernehmen, musste sie jedoch enttäuscht feststellen, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher