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Lockende Versuchung

Lockende Versuchung

Titel: Lockende Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Hale
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eingetroffen. Seufzend fragte sich Julianna bei dieser Nachricht, ob ihr Wohlbefinden in den letzten Tagen nicht vor allem auf die Abwesenheit des ständig missvergnügten Haushofmeisters zurückzuführen war.
    Nach den abwechslungsreichen Weihnachtstagen erschien ihr der St. Stefanstag ziemlich öde, und sie sehnte sich überraschenderweise nach Sir Edmunds Gesellschaft, obwohl sie fürchtete, dass sich ihre freundschaftliche Umgangsform aus den vergangenen Tagen nicht wieder einstellen würde. Doch bis zum Mittagessen war keine Spur von ihm zu entdecken. Wahrscheinlich ist Sir Edmund in seinem Zimmer geblieben, dachte sie enttäuscht, und kuriert seine Erkältung aus.
    An seiner Statt trat Mr Brock um so mehr in Erscheinung, beaufsichtigte das Saubermachen und hielt das noch nicht wieder vollzählige Personal entsprechend in Atem. Als Julianna gegen Abend verzweifelt nach menschlicher Gesellschaft Ausschau hielt, versuchte sie, ihn in ein Gespräch zu ziehen.
    „Ich hoffe, Ihr hattet angenehme Festtage, Mr Brock?“
    Brock ließ sich durch ihre Frage jedoch nicht von seiner Geschäftigkeit abbringen und erwiderte nur beiläufig: „Gewiss, Ma’am, hinreichend angenehm.“
    „Seid Ihr in London geblieben?“, fuhr Julianna hartnäckig fort.
    „In Rotherhithe, Ma’am.“ Er meinte damit offensichtlich eine Region am südlichen Themse-Ufer.
    Seine abweisende Art konnte Julianna indes nicht beirren. „Bei Freunden oder bei Verwandten?“, erkundigte sie sich neugierig.
    Ärgerlich schob Brock seine ohnehin grimmig genug aussehenden Augenbrauen noch mehr zusammen, wahrte aber die Fassung. „Bei meinem Bruder und seiner Frau. Wäre es dann alles, Ma’am?“ Nun gab er sich keine Mühe mehr, seinen Unmut zu verbergen.
    Doch aus einer unerklärlichen Laune heraus überhörte Julianna seine Frage und erklärte liebenswürdig: „Ich nehme an, Ihr möchtet wissen, wie es Sir Edmund und mir während Eurer Abwesenheit ergangen ist. Nun“, ergänzte sie hastig, bevor der Haushofmeister die Gelegenheit zu einer ablehnenden Antwort fand, „wir sind wundervoll zurechtgekommen, obwohl ich mich natürlich nicht gern auf Dauer ohne das Gesinde behelfen möchte. Hat Sir Edmund schon erzählt, dass wir im Theater waren und zu einem Wohltätigkeitskonzert? Die Musik war von Meister Händel, einfach herrlich! Gestern haben wir dann die Weihnachtssänger bewirtet und auch selbst ein wenig mitgesungen. Ich wusste gar nicht, dass mein Gemahl einen so schönen Bariton hat. Nun, war das nicht ein äußerst vergnügliches Programm?“, schloss sie, atemlos von der raschen Rede.
    Starr vor Entsetzen sah Mr Brock sie an. Seine Nasenflügel bebten, und seine Stimme schien ihm fast zu versagen, als er knurrte: „Das klingt mehr nach einem viel zu anstrengenden Programm bei Sir Edmunds angegriffener Gesundheit. Kein Wunder, dass der arme Mann heute im Bett geblieben ist. Wenn ich hier gewesen wäre …“
    Julianna fiel ihm jedoch ins Wort, denn sie hatte keine Lust, sich von dem Haushofmeister Vorhaltungen machen zu lassen, selbst wenn sie an Sir Edmunds Unpässlichkeit schuld sein sollte. „Ich denke doch, dass Euer Herr alt genug ist, um selbst über seinen Tagesablauf bestimmen zu können, Mr Brock“, sagte sie spitz.
    Wortlos wandte sich der Haushofmeister um und entfernte sich steifbeinig. Sein Vorwurf hatte Julianna aber dennoch tief getroffen. Schließlich war ihr Sir Edmunds schwache Konstitution bekannt gewesen, seine Appetitlosigkeit und seine schnelle Ermüdung. Sie hätte wohl doch lieber ein paar Tage verreisen und ihm die Ruhe gönnen sollen, anstatt ihn zu veranlassen, die halbe Nacht aufzubleiben und nur improvisierte Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Dankte sie ihm so seineFreundlichkeit? Wohl zum hundertsten Male am heutigen Tage öffnete sie das Medaillon und holte sich Trost bei Crispins Lächeln.
    „Alice!“
    Julianna fuhr erschrocken aus ihrem Traum empor und musste dann über ihre Torheit lachen. Eben noch hatte sie in den Gärten von Vauxhall Abschied von Crispin genommen. Sie trugen beide Gewänder im griechischen Stil, und er hatte sie immer Alice genannt. Als sie ihm erklären wollte, dass sie gar nicht Alice heiße, hatte er sie geschüttelt und zu wissen verlangt, was mit Alice geschehen sei.
    „Alice …“
    Bei dem leisen, entfernten Schrei hielt Julianna den Atem an. Träumte sie etwa immer noch? Doch als sie merkte, dass die heisere Stimme aus der Richtung von Sir Edmunds Zimmer kam, war sie plötzlich

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