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Lockende Versuchung

Lockende Versuchung

Titel: Lockende Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Hale
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geringer schätzen, schon um den Deutschen zu ärgern.“
    Diese verächtliche Feststellung konnte Sir Edmund nicht unwidersprochen lassen. „Um eine Gesellschaft ist es traurig bestellt“, erwiderte er, „wenn die Anerkennung eines musikalischen Genies zur politischen Frage herabgewürdigt wird.“
    Nach einer kurzen verlegenen Pause verabschiedeten sich die Herren mit den üblichen Höflichkeitsfloskeln, während Julianna ihnen hinter dem Fächer hervor freundlich zunickte.
    Auf dem Heimweg war Sir Edmund sehr wortkarg, und Julianna fragte sich besorgt, ob er sich wohl insgeheim immer noch über die unausgesprochene Kritik der Gesellschaft an seiner in ihren Augen unpassenden Heirat ärgerte. Um ihn von den unerfreulichen Gedanken abzulenken, erkundigte sie sich, wie er zum Förderer des Hospitals für Findelkinder, das in Bloomsbury gebaut wurde, geworden war. Dieses Thema erwärmte ihn sofort.
    „Den Anstoß dazu hat Thomas Coram gegeben, und er hat mich schon frühzeitig zur Teilnahme gedrängt. Als alter Seebär rechnete er mit den weichen Herzen, die seinesgleichen stets für bedürftige Kinder haben. Kein Mensch mit einem christlichen Gewissen kann seine Seele gegenüber den unschuldigen Kindern verhärten, die aus Mangel an Fürsorge tagtäglich in den Straßen dieser wohlhabenden Stadt zugrunde gehen. Ja, wenn es auch für ihre unglücklichen Mütter vielleicht eine Zuflucht gäbe …“ Sir Edmund hielt inne, ohne den Satz zu vollenden, sodass Julianna den Eindruck hatte, er wolle sie vor einem Einblick in die düsteren Seiten des Lebens bewahren.
    „Es erübrigt sich wohl zu erwähnen“, fuhr er dann doch mit unvermittelter Schroffheit fort, „dass es zwei Sorten von Menschen auf der Welt gibt – nämlich jene, die glauben, es sei das Vorrecht der Starken, die Schwachen auszubeuten, und die anderen, die wissen, dass es die Pflicht der Starken ist, die Schwachen zu beschützen. Leider sind die ersteren bei Weitem in der Überzahl.“
    Julianna nickte beifällig, lehnte sich zufrieden in die weichen Polster und richtete ihre Gedanken noch einmal auf die herrliche Musik von Meister Händel.
    Am anderen Morgen rief Julianna, gleich nachdem sie sich angekleidet hatte, eine alte Weihnachtstradition wieder ins Leben, die sie als Kind von ihrer Großmutter übernommen hatte. Sie stellte ihre Harfe neben das Kaminfeuer und spielte und sang ein altes walisisches Morgenlied. „Die Liebe unseres guten Hirten ist immer wie ein Wunder“, begann der Text. Ich glaube, dachte Julianna bei diesen Worten, dass Liebe in jedweder Gestalt ein Wunder ist.
    Der Gesang brachte sie in die rechte Weihnachtsstimmung. Auf Zehenspitzen schlich sie an Sir Edmunds Zimmertür vorüber und stieg leise die Treppe hinab. In der Küche hatten ihre beiderseitigen Bemühungen, das Essen zuzubereiten, ein ziemliches Durcheinander angerichtet, und sie hatte sich deshalb vorgenommen, etwas Ordnung zu schaffen. Zunächst jedoch brauchte sie heißes Wasser für den Tee. Während der Kessel über dem Feuer zu summen begann, räumte sie den Abfall beiseite und stapelte die Teller übereinander. Bei einem prüfenden Blick in die Speisekammer stellte sie fest, dass genügend magerer Schinken und andere Zutaten für ein annehmbares warmes Frühstück vorhanden waren. Glücklicherweise hatte Winnie sie beizeiten in die Kunst des Kochens eingeweiht.
    Hoffentlich würde die Gute ihren Brief bald erhalten, damit sie sich keine Sorgen mehr um Juliannas Befinden machen musste. Vielleicht konnten sie die liebe Alte nach London zurückholen, wenn Crispin heimgekehrt war. Wahrscheinlich könnte sie keine sehr große Hilfe mehr sein, aber allein ihre Gegenwart würde Juliannas Glück vollkommen machen. Und fürWinnie wäre es wohl das Schönste, wieder eine neue Generation in der Wiege schaukeln zu dürfen. In dieses hübsche Bild vertieft, hielt Julianna unwillkürlich in ihrer Arbeit inne.
    „Bin ich heute Morgen etwa ein Langschläfer gewesen?“
    Beim Klang dieser Worte fuhr Julianna erschrocken auf und hätte um ein Haar einen Teller fallen lassen.
    „Sir … Sir Edmund“, stotterte sie. „Ihr geht tatsächlich wie auf Katzenpfötchen. Ich höre Euch nie kommen.“
    „Das ist eine äußerst nützliche Kunst, die ich mir schon vor vielen Jahren angeeignet habe. Heutzutage tue ich es, ohne nachzudenken, und ich fürchte, manch einer ist davon schon fast zu Tode erschrocken.“ Genießerisch schnuppernd, hob Sir Edmund die Nase. „Was riecht

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