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Lockende Versuchung

Lockende Versuchung

Titel: Lockende Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Hale
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Wunde halten konnte. Gequält sah Julianna zur Seite, doch der Patient schien keinen Schmerz zu empfinden. Nach und nach löste sich auch die Erstarrung seiner Glieder.
    Nach einer Weile stillte der Doktor die Blutung, legte einen Verband an und sagte dann halblaut: „In Kürze wird sich erweisen, ob es erfolgreich war.“ Aufmerksam beobachtete er, wie Sir Edmunds Atem langsamer wurde und das Fieber sank. Dann erklärte er auf Juliannas hoffnungsvoll fragenden Blick: „Die nächsten vierundzwanzig Stunden sind entscheidend. Wenn es eben die letzte Fieberattacke war, besteht hinreichend Grund zum Optimismus. Zur Ader lassen kann ich Euern Gemahl in seinem geschwächten Zustand allerdings nicht noch einmal.“
    Als der Arzt gegangen war, entbrannte zwischen Julianna und Mr Brock ein hartnäckiger Wettstreit über die Frage, wer von ihnen zu Bett gehen und wer bei dem Kranken wachen sollte. Jeder bestand darauf, dass der andere mehr der Ruhe bedurfte. Schließlich waren sie zu erschöpft, um weiter darüber streiten zu können, und zu eigensinnig, um nachzugeben. So saßen sie denn wieder wie all die Tage zuvor nebeneinander, ohne eine Wort zu wechseln. Kurz nach Sonnenaufgang öffnete Sir Edmund plötzlich die Augen.
    „Julianna?“ Seine Stimme war nur ein mühsames Krächzen. „Julianna, was machst du denn hier? Und warum hast du so ein altes Kleid an? Bring mir etwas zu trinken, Brock. Ich bin wie ausgedörrt.“
    Auf einen Schlag war der Bann gebrochen. Mr Brock füllte ein Glas mit kalten Tee, und Julianna wischte sich mit einem dankbaren Lächeln die Augen. Aber die Rückkehr ihrer Lebensgeister war nur von kurzer Dauer, und als Sir Edmund wieder bequem in seinen Kissenlag, blieb der Haushofmeister unerbittlich.
    „Ihr müsst jetzt auch schlafen, Mylady. Ich weiß, wie Sir Edmund ist, wenn er wieder aufwacht – schwieriger und mürrischer, als Ihr Euch vorstellen könnt. Dann müssen wir viel Geduld aufbringen und uns manchen Trick einfallen lassen, um mit ihm zurechtzukommen. Das könnt Ihr aber nicht, wenn Ihr am Ende Eurer Kräfte seid. Nehmt also auch einmal einen Befehl entgegen, anstatt ihn selbst zu geben. Ich möchte, dass Ihr jetzt zu Bett geht, andernfalls schlage ich vor, dass Ihr mir den Abschied gebt.“
    Lag da nicht eben tatsächlich so etwas wie Wärme in Mr Brocks Stimme, fragte sich Julianna. Schläfrig murmelte sie: „Aber ich möchte doch noch bleiben, falls Sir Edmund mich braucht.“
    Doch als sie sich erhob, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen, wurde es auf einmal dunkel um sie. Das letzte, was ihr noch zu Bewusstsein kam, waren Mr Brocks starke Arme, mit denen er sie auffing und in ihr Schlafzimmer trug.
    Als Julianna erwachte, war es heller Tag. Sie fühlte sich schwach wie ein Kind und dennoch unsagbar hungrig. Auf ihr leises Klingeln kam Gwenyth aus dem nebenan liegenden Wohnzimmer herbeigeeilt.
    „Oh, Mylady, ich habe mich schon gefragt, ob Ihr jemals wieder aufwachen würdet. Kann ich etwas für Euch tun? Vielleicht ein schönes Frühstück bringen?“
    Gähnend streckte Julianna die Glieder. „Frühstück? Wie spät ist es denn?“
    „Neun vorüber, Ma’am, und Samstagmorgen.“
    Verblüfft stellte Julianna fest, dass sie offensichtlich einmal rund um die Uhr geschlafen hatte. „Und Sir Edmund? Wie geht es ihm? Ich muss sogleich nach ihm sehen.“
    „Mr Brock ist bei ihm, Ma’am“, erwiderte Gwenyth. „Und was ich gehört habe, soll es dem Herrn unglaublich viel besser gehen. Tantchen sagt, dass er zwei Teller von ihrer guten Hühnersuppe gegessen hat.“
    Bei der Erwähnung der Hühnersuppe meldete sich Juliannas leerer Magen deutlich hörbar.
    „Könntest du mir etwas zum Frühstück holen, Gwenyth? Sag deinem Tantchen, sie soll alles reichlich bemessen. Ich bin halb verhungert. Und dann richte mir ein Bad und lege mir frische Sachen bereit. Ich möchte endlich wieder meine eigenen Kleider tragen.“
    Noch nie waren ihr die gebratenen Speckscheiben so knusprig erschienen. Noch nie hatten die pochierten Eier Dotter wie geschmolzener Sonnenschein. Gestärkt von Mrs Davies’ gutem Kaffee blickte Julianna zum ersten Male seit Tagen – oder gar Wochen – wieder aus dem Fenster und stellte überrascht fest, dass Schnee gefallen war. Die in Weiß gehüllte Landschaft glitzerte im Schein der Wintersonne. So war das Leben also weitergegangen. Tag und Nacht hatten einander abgelöst, ohne dass sie dessen gewahr geworden wäre.
    Kaum hatte Julianna den letzten

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