Lockende Versuchung
Bissen geschluckt, als der Doktor eintrat, um ihr über Sir Edmunds Zustand Bericht zu erstatten.
„Ihr dürft Euch zu dem Erfolg Eurer Pflege gratulieren, Lady Fitzhugh. Euer Gemahl hat das Schlimmste überstanden und nimmt auch schon wieder etwas zu sich, was immer ein gutes Zeichen ist.“
„Nun, mein Anteil an seiner Genesung besteht lediglich darin, dass ich dem Bader die Tür gewiesen und Euch gerufen habe“, widersprach Julianna. „Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll. Selbstverständlich müsst Ihr großzügig honoriert werden, und Sir Edmund wird bestimmt auch dem Hospital etwas zukommen lassen.“
„Für Spenden sind wir immer dankbar“, erwiderte der Doktor. „Aber was meine Bemühungen anbelangt, so wären sie alle erfolglos geblieben, wenn Ihr den Kranken in seinem Delirium nicht beruhigt und versorgt hättet. Noch aber ist Sir Edmund nicht außer Gefahr. Seine Milz ist noch geschwollen. Deshalb muss er vorerst im Bett bleiben, denn ein Sturz aufgrund seiner körperlichen Schwäche könnte fatale Folgen haben. Ihr müsst Euern ganzen Einfluss nutzen, um den Kranken zur Ruhe zu bringen.“
Julianna nickte. „Ich verstehe, Doktor. Ihr könnt versichert sein, dass Sir Edmund so lange im Bett bleiben wird, wie Ihr es für nötig erachtet.“
„Wer anders als Ihr sollte das auch zuwege bringen.“ Der Doktor verneigte sich. „Jetzt muss ich aber zurück ins Hospital. Ihr wisst ja, wo ich zu finden bin.“
Gebadet und von Kopf bis Fuß frisch eingekleidet, fühlte sich Julianna wenig später wieneugeboren. Als sie jedoch im Spiegel ihre hohlen Wangen betrachtete und die dunklen Ringe unter den Augen, begann sie unwillkürlich zu gähnen und an ein ausgiebiges Mittagsschläfchen zu denken.
In diesem Augenblick stürzte John zur Tür herein. „Mr Brock sagt, Ihr sollt sofort kommen. Es ist wegen Sir Edmund!“
Großer Gott, was ist geschehen, fragte sich Julianna angstvoll. In fliegender Hast folgte sie dem Lakaien.
8. KAPITEL
Julianna fand Sir Edmund auf dem Rand seines Bettes sitzend vor. Offensichtlich versuchte er aufzustehen, während Mr Brock ihn vergeblich anflehte, doch um Himmels willen liegen zu bleiben. Bei diesem Anblick hatte Julianna das bedrückende Gefühl, als kehre sie an den Beginn eines schweren Traumes zurück. Doch dann wies sie sich ob ihrer Mutlosigkeit zurecht. Sie würde wohl auch mit einem störrischen Kranken fertig werden können, da sie schließlich sogar den missmutigen und reizbaren Haushofmeister gefügig gemacht hatte! Resolut reckte sie die schmalen Schultern und runzelte ärgerlich die Stirn.
„Edmund Fitzhugh, geht augenblicklich in Euer Bett zurück!“
Zwei Köpfe wandten sich ihr ruckartig zu. Sir Edmund erlangte als erster seine Fassung wieder.
„Das geht dich gar nichts an und Brock auch nicht. Schert euch beide fort!“
Julianna traute ihren Ohren nicht. Wie konnte es Sir Edmund wagen, sie wegzuschicken, nachdem sie ihm sozusagen das Leben gerettet hatte? Energisch stemmte sie die Hände in die Hüften. „Das werde ich erst tun, wenn Ihr wieder ordentlich in Euerm Bett liegt.“
Sir Edmund jedoch begegnete ihrem entschlossenen Blick mit ebensolcher Festigkeit. „Ich fühle mich wohl und möchte nichts weiter, als aufstehen, baden, mich anziehen und es mir etwas behaglich machen. Was ist daran nicht in Ordnung? Brock, anstatt herumzugackern wie eine alte Henne, solltest du lieber das herrschsüchtige Ding da hinauswerfen.“
Diese Gelegenheit wird sich Mr Brock wohl kaum entgehen lassen, dachte Julianna mit einem leisen Seufzer. Jetzt kann er endlich seiner Position mir gegenüber wieder etwas festigen.
Doch der Haushofmeister warf seinem Herrn einen erbosten Blick zu und erwiderte dann bockbeinig: „Das kommt überhaupt nicht infrage, Sir Edmund. Für mich ist Lady Fitzhughs Wort Gesetz in diesem Hause, solange der Doktor Euch noch nicht für gesund erklärt hat.“
Julianna und der Kranke starrten den alten Mann wortlos an. Noch nie zuvor hatte Sir Edmund seinen Haushofmeister so wütend gesehen. Kein Wunder, dass sich die gesamte Dienerschaft davor hütete, ihn unnötig zu reizen. Mit zornroten Wangen schnappte Sir Edmund schließlich mehrmals nach Luft, bis er endlich ein einziges Wort hervorstoßen konnte: „Meuterei!“
Der Haushofmeister zuckte sichtlich zusammen, und Julianna konnte nicht umhin, ihn in diesem Augenblick aufrichtig zu bedauern. Vielleicht sollte ich die Taktik jetzt ändern, dachte sie, legte dem Alten die
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