Lockende Zaertlichkeit
Marcus'
unerbittlichen Gesichtsausdruck sah, wusste sie, dass er es sich nicht anders überlegt hatte.
"Ich freue mich für Sally und Simon. Ich bin sicher, dass die beiden glücklich miteinander werden."
Olivia nickte. "Das bin ich auch. Sally ist eine selbstbewusste junge Frau, die weiß, was sie will." Und die ihre Ziele auch erreichen wird, fügte sie im Stillen hinzu. Wenn sie, Olivia, doch nur auch das Glück gehabt hätte, den Mann zu bekommen, den sie so sehr liebte! Aber Marcus schickte sie fort - aus seinem Haus und aus seinem Leben.
Simon war ebenso enttäuscht wie Olivia, als er erfuhr, dass sie das Haus der Hamiltons verlassen sollte, aber er konnte nichts dagegen tun. Es war Marcus' Wille, und den musste Simon respektieren.
Olivia war gerade beim Kofferpacken, als es an der Tür klopfte. "Herein", rief Olivia hoffnungsvoll, doch es war nicht Marcus, sondern Sally.
"Meine Großmutter hat schon angefangen zu packen, und ...
was machst du denn da?" Sally runzelte die Stirn, als sie die geöffneten Koffer sah. "Willst du etwa gehen?"
"Sieht ganz so aus", antwortete Olivia trocken.
"Aber warum denn?" Sally setzte sich neben die Koffer aufs Bett. "Hast du wieder mit Daddy gestritten? Aber deshalb brauchst du doch nicht zu gehen. Ich bin sicher, dass er sich bis morgen wieder beruhigt hat."
"Wir haben nicht gestritten."
"Und warum willst du dann weg? Ist es wegen Grandma?
Ihretwegen brauchst du dir wirklich keine ..."
"Deine Großmutter hat nichts damit zu tun", unterbrach Olivia das Mädchen sanft, während sie ihre Kleidungsstücke in den Koffer legte. "Dein Vater und ich haben vorhin miteinander gesprochen, und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass er...
dass er keine Krankenschwester mehr braucht."
"Aber..."
"Simon hat das auch bestätigt."
Sally biss sich auf die Lippe. "Im Ernst?"
"Ja."
Doch Sally schien nicht überzeugt zu sein. "Bist du sicher, dass du Daddy nicht missverstanden hast? Er kann dich doch nicht von heute auf morgen einfach wegschicken."
"So kann man das auch nicht sehen", schwindelte Olivia, konnte dabei aber nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.
"Dein Vater ist so weit genesen, dass er keine Krankenschwester mehr braucht, und da ... da muss ich eben gehen." Olivia sah Sally an und rang sich ein Lächeln ab. "Meinst du nicht, du solltest noch einmal mit deiner Großmutter sprechen?"
wechselte sie absichtlich das Thema. "Sie scheint sehr enttäuscht zu sein, dass du sie nicht nach Frankreich begleiten willst."
Sally winkte unbekümmert ab. "Das ist bei ihr nichts Neues."
"Wieso ist deine Mutter in Frankreich gestorben?" erkundigte Olivia sich vorsichtig und versuchte, sich dabei nichts von ihrer Aufregung anmerken zu lassen. "Habt ihr zu der Zeit gerade dort Urlaub gemacht?"
Sally schüttelte den Kopf. "Mummy hat dort gelebt." "In Frankreich?" rief Olivia ungläubig. Wie konnte Ruth in Frankreich gelebt haben, wenn Marcus London nie verlassen hatte?
"Natürlich", versicherte Sally. "Wusstest du das nicht?"
"Nein. Woher hätte ich wissen sollen, wo deine Mutter lebt?"
"Ich dachte, Daddy hätte es dir erzählt. Mummy ist nach Frankreich gezogen, nachdem sie sich von Daddy getrennt hatte."
"Aber ich dachte, sie wäre wieder zurückgekommen?"
"Schon, aber immer nur für kurze Zeit, wenn sie Urlaub hatte.
Mein Stiefvater hat nie Lust gehabt, sie nach England zu begleiten. Und ehrlich gesagt, war mir das ganz recht, ich mochte ihn nämlich nicht besonders", gab Sally zu. "Er war zehn Jahre jünger als Mummy und meiner Meinung nach ein Frauenheld."
Olivia konnte kaum glauben, was Sally ihr da erzählte. Also war Marcus' Versöhnungsversuch mit seiner Frau damals gescheitert. Sie hatten sich scheiden lassen, und Ruth hatte sogar einen anderen Mann geheiratet.
"Aber wie dem auch sei, Mummy scheint jedenfalls ganz glücklich mit ihm gewesen zu sein", meinte Sally und stand auf.
"Ich wünschte, du würdest bleiben, Olivia. Daddy weiß gar nicht, was er an dir hat."
Olivia lächelte nur resigniert. Marcus hatte Recht. Es war für alle besser, wenn sie sein Haus verließ. Sollte er je erfahren, dass sie die Olivia von damals war, würde das seinen Zustand vielleicht sogar noch verschlimmern. Marcus hatte sie aufgefordert, sein Haus zu verlassen, und das würde sie auch tun. Aber vorher wollte sie ihn wenigstens noch einmal sehen.
Olivia wartete bis kurz nach Mitternacht, bis alle schliefen, dann schlich sie auf Zehenspitzen in sein Zimmer. Marcus lag halb
Weitere Kostenlose Bücher