Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?
Und vieles andere mehr. Vor allen Dingen sind wir an den vielen leeren Bierflaschen interessiert; denn dafür bekommen wir beim Braun Geld. Ich verkaufe zwar manchmal ein paar leere Flaschen aus unserem Keller, aber das sind nicht viele. Und wenn ich soviel verkaufe, dass man’s merkt, kriege ich Ärger mit meinem Vater, weil er da wieder Flaschenpfand bezahlen muss.
Deshalb sind Manöver für uns so lohnend. Die Soldaten lassen die Bierflaschen einfach liegen, sicher wissen sie nicht, dass sie Pfand kosten, weil es deutsche Flaschen sind. Gisi Simoneit ist überhaupt als Erste auf den Gedanken gekommen, auf Manöverplätzen zu suchen.
Maria und Barbara Martin, Gisi, ich und Heidi gehen meistens zusammen hin. Wenn Gisi nur wenig findet, sagt sie immer: „Es wird christlich geteilt!“ Wenn sie aber die meisten Flaschen von uns allen hat, ist sie nicht mehr so christlich. Dann heißt es bei ihr: „Jeder soviel, wie er hat!“
Sie ist auch auf was ganz Neues gekommen. Damit ist sie nicht mehr nur von den Manövern abhängig. Herr Braun hat gegenüber von seinem Laden einen Schuppen, den er nie abschließt. Da drin hat er massenweise Kästen mit Flaschen stehen. Da holt sich Gisi öfter mal welche raus und verkauft Herrn Braun vorne im Laden seine eigenen Flaschen. Er erkennt sie nicht und Gisi verdient gut daran. Sie wollte, dass wir das alle machen. Ich tu so was aber nicht. Wenn ich nämlich erwischt würde, wäre meine Mutter ganz verzweifelt, weil man so was eben nicht tun darf. Außerdem finde ich, dass dies Diebstahl ist. Aber natürlich verrate ich Gisi nicht.
Manchmal gehe ich auch für unsere Nachbarn einkaufen. Sogar für Frau Mühlbauer, die das zwar lieber selber macht, manchmal aber auch kochen muss und deshalb keine Zeit hat.
Herr Mühlbauer ist nicht immer mit ihrem Essen zufrieden. Neulich hat er ganz laut gebrüllt: „Du hast wohl den Hof für diesen Fraß zusammengekehrt. Am liebsten würde ich diese Suppe aus dem Fenster schütten!“ Da ich gerade im Hof war, habe ich mich lieber verdrückt. Schließlich wollte ich nicht mit heißer Suppe übergossen werden.
Von Frau Mühlbauer bekomme ich zehn Pfennig fürs Einkaufen, von Frau Uhlig sogar zwanzig. Frau Mohr hat selber Kinder zum Einkaufen, die kosten nichts.
Ein Bild mit Kuss
Meine Schwester ist jetzt Babysitter bei einer amerikanischen Familie. Sie hat mich schon ein paarmal mitgenommen. Es gibt da nur ein kleines Mädchen, das Cathy heißt, was ich auf Englisch nicht richtig aussprechen kann. Das Kind ist erst vier Jahre alt, aber sehr niedlich.
Der Mann ist Offizier, deshalb sind Missis und Mister Fitzgerald oft eingeladen, das heißt, sie sind öfter mal weg. Und dann passt Inge auf die Kleine auf. Mister Fitzgerald fährt sie aber jedes Mal, wenn sie zurückkommen, heim. Da muss sich Mama keine Sorgen machen und Inge fühlt sich als wer weiß was, weil sie Auto fährt.
Cathys Mutter ist wunderschön. Sie hat riesige braune Augen, die ganz sanft blicken und ebensolches Haar. Ganz weiche, lange Locken und nicht so einen Krauskopf wie ich. Sie ist auch so lieb und freundlich, wie sie aussieht. Das Allererstaunlichste ist aber, dass sie deutsch spricht, so richtig deutsch, fast so wie wir. Ihr Mann kann auch sehr gut deutsch sprechen, außerdem ist er ein schöner Mann. Jedenfalls sagen das die Frauen, die ihn kennen, sagt Inge.
Frau Fitzgerald sieht es gern, wenn ich mit Cathy spiele, ich soll sogar deutsch mit ihr sprechen. Sie bringt uns dann Eiscreme, Kokoskuchen und Cool Aid. Das ist eine Limonade aus einem Pulver, die künstlich schmeckt und sehr amerikanisch.
Cathy hat in ihrem Zimmer ganz kleine Möbel, aber wir sitzen auch gerne auf dem Boden, weil das dicker Teppichboden ist. Richtig essen wir aber am Küchentisch. Da sitzt Missis Fitzgerald bei uns und näht oder rührt eine Creme.
Neulich hat sie einen Anzug von ihrem Mann für die Reinigung fertiggemacht und deshalb die Taschen ausgeleert. Da war aber nur ein gebrauchtes Taschentuch drin und eine Fotografie, wo eine Frau drauf war. Auf der Rückseite ist das Bild mit Lippenstift geküsst worden. Das war allerdings schon ganz verschmiert. Da habe ich in den sanften Augen Tränen gesehen. Ich weiß nicht warum, aber Missis Fitzgerald tat mir furchtbar leid. Ich wollte ihr unbedingt etwas Freundliches sagen, aber mir fiel nichts Besseres ein, als:
„Sie sind so schön, dass ich Sie immerzu anschauen muss.“ Das stimmt ja auch. Sie streichelte meinen Kopf
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