Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?
eingesammelt hat. Es wurde eine Fünf! Das konnte selbst Herr Löwer nicht begreifen. Ich hatte so eine Wut in mir, dass ich fast geplatzt bin. Da bin ich zu Herrn Löwer gegangen und habe ihm alles erzählt. Er hat nur gesagt: „Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“ Die Fünf hat er nicht weggemacht.
Hilflos ausgeliefert
Ich habe die Mandeln rausgenommen bekommen. Meine Mutter war mit mir bei einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt in der Stadt. Er hat mir aber nur in den Hals geschaut und gesagt: „Die Mandeln müssen unbedingt raus! Sie sind geschwollen und vereitert.“
Dann hat er allerdings gemeint, er hätte in den nächsten sechs Wochen kein Bett mehr in der Klinik frei. Aber bis dahin wäre das Kind längst erstickt.
Meine Mutter hat ihre Hände geknetet und den Doktor groß angeschaut. Der hat sich auch die Hände gerieben und sie dann unter seinem eckigen Kinn gefaltet. „Tja“, meinte er, „ich hätte da allerdings noch ein Bett in meiner Privatabteilung frei, da könnte ich die Kleine sofort operieren. Wenn Sie mir einen Umschlag geben, und wenn nur zwanzig Mark drin sind, reserviere ich das Bett!“
Meine Mutter hat tief geseufzt, aber erst daheim, als sie das Papa erzählte. Am nächsten Tag hat sie Doktor Möller aber den Umschlag gebracht und mich am übernächsten ins Krankenhaus.
Im Operationszimmer saß ein Mann, der mich auf den Schoß nahm und sehr freundlich zu mir war. Er sollte mich festhalten. Dann kam der Arzt und ich musste den Mund ganz weit aufmachen. Erst hat er mir was in den Hals gesprüht. Dann hat er so was Ähnliches wie eine Zange genommen und sie mir in den Hals gesteckt. Damit hat er meine Mandeln rausgerissen. Es war furchtbar eklig, als er lauter blutige Stücke aus mir rausholte.
Immer wieder schimpfte Doktor Möller mit mir, weil ich den Mund nicht weit genug aufmachte. Am liebsten hätte ich mich losgerissen und wäre weggegangen. Aber der Mann hielt mich so fest, dass ich mich kaum bewegen konnte. Er sagte auch immer, dass ich den Mund aufmachen sollte. Er sagte es aber nett.
Ich bin wütend geworden, weil ich diesem Arzt hilflos ausgeliefert war, und überlegte, was ich anstellen könnte. Als er wieder seinen Finger in meinen Mund steckte, um mir die Zähne auseinander zu klemmen, habe ich einfach zugebissen, aber fest.
Dann ging’s mir schlecht. Ich bin in einem weißen Bett aufgewacht und hatte einen Kragen aus Eiswürfeln um den Hals. Plötzlich musste ich furchtbar brechen, obwohl mir der Hals auch ohne das sehr weh tat. Es war, als ob ich innen ganz roh sei. Mama saß bei mir und hielt mir den Kopf.
Die Krankenschwester fragte, ob ich vor der Operation nüchtern gewesen sei. Ich hatte gut gefrühstückt und musste jetzt fürchterlich dafür büßen. Meine Mutter konnte ja nicht wissen, dass man vor Operationen nichts essen darf, wegen der Narkose. Doktor Möller hatte ihr das nicht gesagt.
Als ich fertig mit dem Übergeben war, kam der Arzt herein. Er lächelte mich an und fragte, wie es uns ginge. Ich habe ihm gesagt, dass ich kaum sprechen könnte, weil mir der Hals so weh tat. Aber wie es ihm ginge, wüsste ich nicht. Er sagte: „Es wird Dir bald besser gehen Ulrike und dann bekommst Du viel Eiscreme.“ Zu Mama sagte er: „Das kleine Fräulein hat mich in den Finger gebissen!“ Tatsächlich hatte er ein Pflaster am Mittelfinger. In meinem Leid habe ich mich innerlich darüber gefreut, aber nichts gesagt. Ich glaube, Mama erging es ähnlich, sie hat nämlich auch nichts dazu gesagt.
Das Mädchen, das in dem anderen Bett liegt, heißt Ortrud. Sie ist so alt wie Inge und kennt sie sogar, weil sie in dieselbe Schule gehen. Sie ist sehr nett und hat auch keine Mandeln mehr. Wir bekommen wirklich viel Eis zu essen, weil das gut für die Wunde ist. Es geht mir auch schon viel besser und ich finde es interessant im Krankenhaus. Da wird man jeden Tag besucht und kriegt immer was mitgebracht. Ich habe sogar einen kleinen Blumentopf für mich alleine bekommen. Da ist eine rote Tulpe drin und rundherum stecken Kätzchen, weil ja bald Ostern ist. Außerdem habe ich Apfelsaft mitgebracht bekommen und ein Buch.
Ich wollte so gern meine Puppe haben. Da hat Ulla sie mir gebracht. Sie hatte ganz neue Babysachen an. Meine Inge, Ulla hat sie genäht. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Ulla hatte die Puppe im Einkaufsnetz am Fahrrad hängen. Da haben doch tatsächlich ein paar Leute geglaubt, das wäre ein Baby. So ein Quatsch. Ich habe
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