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Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt?

Titel: Lockenkopf 1 - Warum weint man, wenn einem etwas gefällt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Essling
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morgens immer Feuer, bevor wir aus dem Bett kommen und uns waschen.
    Zu der Wohnung gehört noch eine Mansarde, aber die muss erst noch hergerichtet werden. Wir wohnen Parterre und haben nur zwei Treppen zum Keller. Papa ist glücklich, dass wir einen Keller haben. Die Kellerfenster gehen zum Hof. Über den Fenstern sind Pfeile gemalt. Im Hof ist unser Klo. Neben dem Hühnerstall. Auch die anderen Leute haben ihre Klos und ihre Ställe dort. Aber sie haben nur Hühner.
    Unsere Hühner haben’s gut, bis sie geschlachtet werden. Mein Vater hat ihnen nämlich noch einen Zwinger gebaut, damit sie in Sicherheit Würmer fressen können.
    Vor dem gepflasterten Hof ist Rasen, da bleichen die Frauen ihre Bettwäsche und hängen sie auch zum Trocknen auf.
    Wir haben die Nummer A, aber zum Haus gehört noch ein weiterer Eingang, und der hat die Nummer B. Zwischen den beiden Hauseingängen liegt die Waschküche. Da ist ein riesiger Kessel drin, unter dem man Feuer machen kann.
    Außerdem haben wir noch drei Nachbarn. Die dazugehörigen Männer arbeiten alle „Hinten“, bei meinem Vater. „Hinten“, das ist die Kunstlederfabrik, in der alles Mögliche hergestellt wird.
    Jetzt ist mein Vater wirklich viel früher daheim, weil er es zur Arbeit nicht so weit hat. Das hat auch seine Vorteile. Denn wenn er abends nicht mehr aus dem Haus zu gehen braucht, darf ich ihn kämmen. Mir gelingt es nie, solche Locken zu drehen, wie er selbst, aber er sieht trotzdem immer sehr abenteuerlich aus. Dabei sitzt er auf dem Fußschemel und liest aus der Zeitung vor. Ganz besonders gern liest er von Verbrechen. Dann empören sich die Erwachsenen immer so. Papa bringt nämlich öfter mal einen Kollegen mit heim. Dann trinken die Männer Bier und Mama hofft im Stillen, dass der fremde Mann heimgeht, bevor wir zu Abend essen. Aber die Leute fühlen sich bei uns immer wohl.
    Ein Kollege von Papa, der Herr Zwilling heißt, obwohl er gar keiner ist, kommt besonders oft. Er redet nicht viel, hört nur zu, wenn Papa aus der Zeitung vorliest, und sieht meine Mutter an.
    Wenn schlimme Sachen passieren, sagen die Erwachsenen meistens: „Das hat es unter Hitler nicht gegeben!“ Ich frage mich oft, wer dieser Hitler war, aber wenn ich frage, dann bekomme ich zu hören: „Das verstehst Du noch nicht.“ Wenn wir in die Stadt gehen, (mit dem Bus ist es zu teuer und außerdem ist Laufen gesund), kommen wir an der Vorderfront eines kleinen Tempels vorbei. Die Hinterfront gibt es nicht mehr. Meine Mutter erklärte mir, dass dies einmal das Stadttheater gewesen sei. Sie muss es ja wissen; denn meine Eltern haben in dieser Stadt gewohnt, bis sie ausgebombt sind.
    Langsam glaube ich, dass dieser Hitler der Herrscher der Stadt war und in diesem Tempel vor sein Volk getreten ist.
     
    Bei uns gibt es auch viele Kasernen mit amerikanischen Soldaten drin. Die haben so olivfarbene Hosen und Jacken an und sehen alle gleich aus. Im Radio reden sie immer davon, dass die Amis unsere Befreier seien. Meine Mutter nickt dann mit dem Kopf und sagt: „Sie haben uns befreit, von der Butter und vom Fleisch.“ Ich finde das auch nicht so gut, denn ich wollte nicht von Fleisch und Butter befreit werden.
     
     
    2. Bild

    Ulrike mit Mutter und Schwester
     

Ungeahnte Köstlichkeiten
    Es ist eiskalt. Wir haben viel Schnee. Inge geht mit mir Schlitten fahren. Sie hat Kohleferien. Wenn Inge dabei ist, darf ich auch vom Damm an der Eisenbahnbrücke runterfahren. Für mich allein ist das sonst zu gefährlich. Wir frieren. Mein Mantel ist aus einer gefärbten amerikanischen Wolldecke. Meine Mutter hat ihn selbst genäht.
    Bald ist Weihnachten, aber Inge sagt, dass sie sich gar nicht so richtig darauf freuen kann. Mama ist nämlich sehr krank und wir haben solche Angst. Wir besuchen sie ja zweimal in der Woche im Krankenhaus. Da liegt sie da, ganz dünn und blass. Wir bringen ihr auch immer etwas mit, was wir so zusammenbasteln können. Papa bringt ihr ein Buch aus der Stadtbücherei. Sie holt immer was zum Essen für Inge und mich aus ihrer Nachttischschublade raus. „Das sollst Du selbst essen, Gretel“, sagt mein Vater dann immer. „Du musst doch wieder zu Kräften kommen.“ Aber Mama will unbedingt, dass wir das Essen wegtun, damit es die anderen Frauen nicht sehen.
    Ich kann nur bis fünf zählen, aber ich habe schon mehr als zweimal bis fünf gezählt und es sind noch mehr Betten in diesem Krankensaal. Und überall sind Frauen drin, die Nachthemden anhaben. Die meisten

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