Lockruf der Gefahr - Lockruf der Gefahr - Black Hills
damals noch ein Kind, dieser Ethan. Wenn das stimmt und er zusehen musste, wie …«
Seine Züge verhärteten sich, und seine Stimme wurde eiskalt. »Das wird sein Anwalt auch sagen. Der arme, missbrauchte Junge, beschädigt und zerstört durch einen alkoholsüchtigen Vater und eine passive Mutter. Klar, er hat zwar all die Leute umgebracht, aber man kann ihn nicht dafür zur Verantwortung ziehen. Vergiss es!«
»Erlerntes Verhalten gibt es nicht nur im Tierreich. Aber ich will dir gar nicht widersprechen, Coop. Aus meiner Sicht ist ein Mord eine bewusste Entscheidung. Aber alles, was du mir erzählt hast, weist auf eine entsprechende Vorbelastung hin. Und irgendwann hat er Entscheidungen getroffen, die ihn auf seine Mission gebracht haben. Wenn das stimmt, mussten viele Leute sterben, und er hat großes Leid über die Hinterbliebenen gebracht.«
»Verstehe«, sagte er kurz angebunden. »Trotzdem.«
»Er tut mir nicht leid«, wiederholte sie, »aber ich kann ihn jetzt ein kleines bisschen besser verstehen. Glaubst du, dass er außer mir noch anderen nachgestellt und sie bedroht hat?«
»Bei Melinda Barrett ergab sich einfach die Gelegenheit, und es geschah rein impulsiv. Und Molly Pickens hat ihn freiwillig begleitet, wenn es stimmt, was ihr Chef sagt. Aber Carolyn Roderick? Ich glaube, ihr hat er auch nachgestellt und sie bedroht. Ich denke, das hängt ganz davon ab, wie gut er sein Opfer kennt. Und wie groß seine Motivation ist.«
»Wenn James Tylor durch ihn gestorben ist, wäre das eine weitere rein impulsive Tat.«
»Oder eine Art Triebabfuhr. Keine der Frauen, deren Leichen gefunden wurden, ist vergewaltigt worden. Es
gibt keinerlei Hinweise auf sexuelle Übergriffe, Folter oder eine Verstümmelung. Es ist das Morden an sich, an dem er sich berauscht.«
»Beruhigend kann ich das nicht gerade finden. Was er bisher getan hat, hat mich und die anderen auf jeden Fall alarmiert. Das macht es ihm so gut wie unmöglich, sich mir oder meiner Familie zu nähern. Damit bin ich …« Sie interpretierte Coops Miene genau richtig. »… eine noch größere Herausforderung?«
»Vielleicht. Wenn mich nicht alles täuscht, treibt er sich schon zum vierten Mal in dieser Gegend herum. Vielleicht war er auch öfter hier, ohne Kontakt zu dir aufzunehmen. Vielleicht, als du weg warst. Vielleicht hat er sich auch hier um Arbeit bemüht, auf einer der Farmen, in einem der Geschäfte. Er kennt sich hier aus.«
»Ich mich auch.«
»Und das weiß er. Wenn er dich einfach nur umbringen wollte, wärst du längst tot.«
So kühl und sachlich, wie er das sagte, bekam sie erneut eine Gänsehaut. »Na, das baut mich wirklich auf!«
»Er hätte dich in jener Nacht erledigen können, als er den Tiger befreit hat. Sobald du hier allein warst, hätte er die Tür eintreten und dich umbringen können. Oder er hätte dir auf dem Weg zu deinen Eltern auflauern können. Es gibt jede Menge solcher Szenarios, aber die interessieren ihn nicht. Noch nicht.«
Sie griff nach ihrem Wein und nippte vorsichtig daran. »Du willst mir Angst einjagen.«
»Allerdings.«
»Das ist nicht nötig, ich habe auch so Angst genug. Und ich werde vorsichtig sein.«
»Du könntest eine Reise machen. Irgendwo gibt es bestimmt ein Projekt, an dem du mehrere Wochen oder Monate mitarbeiten könntest.«
»Klar. Und er könnte rausfinden, wo ich bin, mir nachkommen und mich irgendwo verfolgen, wo ich mich nicht so gut auskenne. Oder er wartet einfach ab, bis ich anfange, mich zu entspannen. Das weißt du genauso gut wie ich.«
»An dir ist sogar eine sehr gute Polizistin verloren gegangen«, musste er zugeben. »Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen. Aber wie groß ist die Chance, dich anderswo aufzuspüren? Darauf spekuliere ich.«
»Ich werde nicht fortgehen, Coop.«
»Was, wenn ich auch für deine Eltern eine kleine Reise organisiere?«
Sie stellte ihren Wein ab und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Mich mit ihnen zu erpressen, ist nicht fair.«
»Ich erpresse dich mit allem, was dich schützt.«
Sie stand auf und begann, Kaffee aufzusetzen. »Ich geh nicht fort«, wiederholte sie. »Ich lass mich nicht aus meinem Reich vertreiben, das ich mir mühsam aufgebaut habe. Ich werde meine Mitarbeiter und meine hilflosen Tiere nicht im Stich lassen und mich irgendwo verkriechen. Und wenn du das nicht begreifst, hast du gar nichts verstanden.«
»Einen Versuch war es immerhin wert.«
»Du hast ziemlich viel Zeit und Energie darauf
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