Lockruf Der Leidenschaft
Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Und er beobachtete sie. »Ich frage mich, ob er glaubt, dass er mich mit dieser Behandlung treffen könnte«, sagte Polly zu Nicholas und Richard. »Diese Taktik erscheint mir logisch. Bislang war ich immer diejenige, die sich ihm angeboten, sich aber dann wieder zurückgezogen, ihn geneckt und hingehalten hat. Vielleicht versucht er jetzt, den Spieß umzudrehen.« »Wenn dem so wäre, wie solltest du dann am besten darauf reagieren?«, fragte Richard. Sie spazierten gerade durch den St. James's Park, ebenso wie zahlreiche andere Höflinge, die alle die Strahlen der wohltuenden Aprilsonne genießen wollten.
Ich denke, jetzt muss ich wieder auf ihn zugehen«, antwortete Polly. »Wenn er glauben soll, dass ich mich ihm letztendlich doch hingeben werde und mit meinen Annäherungsversuchen und Rückzügen lediglich den Preis aushandeln will, bin ich wieder diejenige, die einen Schritt in seine Richtung machen muss, zerknirscht und ängstlich, was ich nur getan haben könnte, um ihn zu verärgern.«
Aber mittlerweile lagen die Dinge ein wenig anders, und Nick versuchte dem Unbehagen auf den Grund zu gehen, das ihn bei dieser Vorstellung beschlich. Wenn Buckingham herausbekommen hatte, dass ihm nur etwas vorgespielt wurde, würde dies seinen Rückzieher durchaus erklären. Mit Pollys Vorgehensweise würde sie seine Vorbehalte zerstreuen. Dennoch fühlte sich Nick gar nicht wohl dabei. Doch da er sein ungutes Gefühl nicht logisch erklären konnte, fügte er sich.
An jenem Abend musste Seine Gnaden von Buckingham feststellen, dass er das Ziel der schmeichelhaftesten Aufmerksamkeitsbezeugungen von Mistress Polly Wyat geworden war. Die riesigen, sanften Augen waren auf ihn gerichtet, blickten ihn sorgenvoll fragend an. Ihre Lippen bebten, als sie mit einem Flüstern zu wissen begehrte, womit um alles in der Welt sie ihn beleidigt habe. Auf seinen Arm hatte sich eine zarte Hand geschoben. Der Herzog legte seine Hand über ihre Finger, versicherte ihr, es habe keine wie auch immer geartete Beleidigung gegeben, und bat sie, am nächsten Tag nach ihrem Auftritt als Gast zu einem kleinen Abendessen zu erscheinen. Polly nahm die Einladung eilfertigst an, begleitet von einer so offenkundigen Freude, dass er augenblicklich wieder beruhigt war. Beide Teilnehmer dieses Spiels gingen mit einem Gefühl höchster Befriedigung über die Wirkung ihrer Taktik nach Hause.
Am folgenden Nachmittag jedoch fand Nicholas eine nachdenkliche Polly vor, die sich gerade auf die Nachmittagsvorstellung vorbereitete.
»Ich habe eine Nachricht von Buckingham bekommen«, erklärte sie ohne Einleitung. »Und zwar eine Bestätigung für die Einladung zum Abendessen in der Schenke »Zum Halbmond«, gemeinsam mit der äußerst dringlichen Bitte, mich nach der Vorstellung auf keinen Fall dadurch zu verspäten, dass ich erst noch mein Kostüm wechsle.« Kincaid schwieg einen Moment und spielte gedankenverloren mit ihrem Haar. Er starrte auf die Wand hinter Pollys Frisierkommode, als ob diese irgendein Geheimnis offenbaren könne. »Heute spielst du eine Hosenrolle, richtig?« »Ja.« Polly wandte den Kopf und schaute über ihre Schulter hinweg zu Nicholas auf. »Und ich bin mir sicher, dass Buckingham das weiß.«
»Zweifellos«, stimmte Nick ihr mit einem angedeuteten Lächeln zu. »Und wie jeder andere wird auch er deine Figur in einer eng anliegenden Kniebundhose so aufregend finden, dass der Anblick wildes Verlangen in ihm entflammen wird. Insofern kann ich ihm seinen Wunsch, dass du in diesem Kostüm auch auf seiner Gesellschaft erscheinen mögest, kaum verdenken. Aber wenn du dich seinem Wunsch fügst, erteilst du ihm damit stillschweigend dein Einverständnis für das, was auch immer er dabei im Sinn gehabt haben mag.« »Ich glaube aber, dass ich in diesem Falle tun muss, worum er mich bittet«, sagte Polly »Wenn ich mich dem jetzt verweigere, führe ich meinen Annäherungsversuch von gestern Abend ad absurdum.« Sie griff hinter sich, nahm seine Hände und lächelte zu seinem Spiegelbild hinauf. »Ich werde seinem Wunsch nachgeben, tue aber so, als ob ich keinerlei Hintergedanken dabei vermute. Auf diese Weise gehe ich eben doch nicht ganz auf ihn ein. Und haben sich im Übrigen nicht auch schon einige Damen bei Hofe den Scherz erlaubt, sich als Mann zu kleiden?« »Das war aber etwas anderes. Dabei hat eine Gruppe von Damen einen etwas unschicklichen Versuch unternommen, Aufsehen zu erregen. Buckingham dagegen
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