Lockruf Der Leidenschaft
hatte, sie zunächst noch ein wenig zu quälen, da sie seine Annäherungsversuche abgelehnt hatte, dass er seine Interessen aber mittlerweile auf andere Dinge verlagert hatte. Und der Herzog von Buckingham hatte ja tatsächlich andere Interessen gefunden - Interessen, die jedoch nach wie vor mit Polly zusammenhingen. Hinter den Kulissen und in der Abgeschiedenheit des königlichen Bettes nahm sein heimlicher Plan, Nicholas, Lord Kincaid, weiter in Verruf zu bringen, seinen Lauf.
Die zwölf Weihnachtsfeiertage am Hofe von König Charles II. übertrafen selbst Pollys kühnste Vorstellungen. Die Weihnachtsfeste in der Schenke »Zum Hund« waren in den vergangenen Jahren zwar auch nicht gerade mit puritanischer Feierlichkeit begangen worden, aber Polly hatte immer viel zu viel zu tun gehabt, um an den Komödianten und den Musikern viel Vergnügen zu finden. Natürlich hatte es auch ein Weihnachtsessen gegeben, und Polly hatte ihren Anteil an Gans und gefüllter Pastete gegessen, doch nichts von alledem hatte sie auf die verschwenderische Pracht des diesjährigen Weihnachtsfestes vorbereitet.
Tag für Tag wurden Festgelage zu den Klängen von Viola und Trommel abgehalten. Die Tische bogen sich förmlich unter den Wildschweinköpfen, den Fasanen, den Stören und Karpfen, den venezianischen Süßigkeiten, den Quarktörtchen und den kandierten Pflaumen, Nüssen und Früchten. Die Gesichter schienen stets ein wenig gerötet vom Likör, Weißwein, Punsch und dem besten Oktoberale zu sein. All dies floss vom frühen Morgen an bis spätabends, wenn auch der letzte Nachtschwärmer endlich wieder in seinen alkoholisierten Schlummer fiel. Doch all die Feierlichkeiten standen unter der Magie des so genannten »Lord of Misrule« - der »Herr des Tumults«. Anfangs hatte Polly es für einen ganz besonders raffinierten Kniff gehalten, dass ausgerechnet Richard De Winter, der elegante, zurückhaltende Richard, für diese Rolle ausgewählt worden war, doch sie begriff schnell, wie klug dieser Schachzug gewesen war. Die Aufgabe des Lord of Misrule bestand darin, darauf zu achten, dass die Ausgelassenheit nicht überhand nahm, und De Winter hielt diese Disziplin mit höchst wirkungsvollen Gemeinheiten aufrecht, indem er die Gäste etwa mit Geldstrafen belegte oder mit Auszeiten, in denen sie nichts trinken durften. Ein mürrischer Gesichtsausdruck, eine unhöfliche Bemerkung, das Provozieren von Meinungsverschiedenheiten - all das wurde sofort bestraft, ebenso wie grober Unfug, der die Grenzen des Spaßes überstieg. Machte man sich also durch eine dieser Taten selbst zum Spielverderber, so wurde dies mit Feuerwerksraketen und Knallfröschen geahndet. Während die Abendgesellschaft den Gewinn aus der Geldstrafe aufteilte und über das Gekasper des Bösewichts lachte, der in wilder Verzweiflung herumhüpfte und tanzte, während die an seinen Fersen und dem Kleidersaum befestigten Feuerwerkskörper explodierten, war es recht unwahrscheinlich, dass der Abtrünnige seine Beleidigungen noch einmal wiederholte.
Polly, die das Pech hatte, während einer außerordentlich würdevollen Rede des Lord of Misrule vor Lachen einen Schluckauf zu bekommen, wurde für diese Anmaßung dazu verurteilt, einmal auf Händen durch die gesamte Länge des Salons zu gehen. Zum Glück erlaubte ihr Kostüm an jenem Abend, diese turnerische Leistung ohne eine Verletzung der Anstandsregeln zu vollbringen. Sie hatte sich als schmutziger Straßenjunge verkleidet, in zerlumpten Kniebundhosen und zerrissenem Hemd, mit Rußspuren auf den Wangen und ihr Haar unter einer zerfetzten Kappe verborgen. Dennoch vermochte die Kostümierung nicht im Geringsten ihre Schönheit zu verbergen, wie Kincaid fand, als er beobachtete, wie sie zwischen den Reihen der begeistert johlenden Festgäste entlanglief. In diesem Moment rutschte ihr die Mütze vom Kopf, sodass ihr Haar lose über ihr Gesicht fiel, doch sie beendete ihren Spaziergang auf Händen trotzdem und schwang zum Schluss die Beine über den Kopf, um sauber auf den Füßen zu landen.
»Woher wusstest du, dass sie so etwas überhaupt kann?«, fragte Nick, als er neben Richard trat. »Ich habe eben einfach richtig geschätzt«, entgegnete er und warf seinem Freund einen Blick zu, der die Mätzchen seiner Mätresse belustigt beobachtete. »Was hast du jetzt vor, Nick? Nun, da die Sache mit Buckingham ein Ende gefunden hat?«
»Mit Polly?« Nicks Lächeln wurde noch etwas breiter. »Das hat keine Eile, Richard. Sie ist
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