Lockruf Der Leidenschaft
glücklich mit den Dingen, wie sie sind. Für den Moment werde ich ihr die Bürden einer Ehefrau und Mutter noch nicht auferlegen. Zuerst soll sie noch ein wenig spielen dürfen. Sie hat in ihrem Leben bisher wirklich noch nicht viel Erfreuliches erlebt, nicht einmal ein Geburtstagsgeschenk, Richard -« Er hielt abrupt inne, als Polly auf ihn und Richard zugeschlendert kam.
»Ist mir nun die Absolution erteilt, Mylord of Misrule?« Polly vollführte mit der Kappe in der Hand eine Verbeugung vor Richard.
»Ihr habt Eure Buße getan«, erwiderte dieser feierlich und tippte ihr mit seinem schwarzen Regentenstab leicht auf die Schulter. »Aber seht Euch vor, dass Ihr uns nicht wieder verärgert.«
Die Musikanten, die während Pollys turnerischer Darbietung einen Marsch gespielt hatten, stimmten nun ein Menuett an. Augenblicklich wurde Polly trotz ihres unpassenden Kostüms von einem Kavalier entführt, um mit den anderen Paaren Aufstellung zu nehmen. Die beiden Männer nutzten diese kurze Verschnaufpause und wandten dem Salon ihre Rücken zu.
Jeglicher Anflug von Sanftmut und Belustigung war inzwischen aus Kincaids Zügen gewichen. »Hast du es auch schon bemerkt, Richard?«, fragte er leise. »Es hat sich eine ganz auffällige Kälte eingeschlichen. Sie hat sich die ganzen letzten Wochen über aufgebaut, und jetzt erwidert der König meine Verbeugung kaum mehr mit einem Nicken.«
»Ja«, erwiderte Richard ebenso leise. »Es ist mir nicht entgangen. Hast du eine Ahnung, woran das liegen könnte?« »Ich habe mir das Hirn zermartert, aber mir fällt beim besten Willen kein Grund dafür ein! Ich habe mich schon gefragt, ob es vielleicht mit Polly zusammenhängt. Vielleicht wünscht Seine Majestät ja, Polly in sein Bett zu bekommen, und will mir nun auf diese Weise zu verstehen geben, dass ich mich zurückziehen soll. Aber eigentlich ist das gar nicht seine Art. Alle seine Mätressen haben doch Ehemänner oder Gönner. In Wahrheit ist es doch auch ganz nützlich, wenn man jemanden hat, der einen königlichen Bastard als den seinen anerkennt, nicht wahr?«, erklärte Nicholas zynisch, was sein Freund mit einem zustimmenden Nicken quittierte.
»Unser Herrscher ist ein launenhafter Mann«, sagte Richard. »Vielleicht hört all das ja genauso schnell wieder auf, wie es begonnen hat.«
»Das will ich hoffen«, antwortete Nick trübsinnig. »Ansonsten befürchte ich, dass ich mich auf höchst unzeremonielle Art verabschieden muss. Sag davon aber nichts zu Polly Ich möchte ihr auf keinen Fall den Spaß verderben, den sie zurzeit hat.«
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Richard und wandte sich wieder dem Salon zu. »So etwas wäre wirklich eine sehr hässliche Geste. Schließlich ist eine so ungekünstelte Freude ein Geschenk an alle.« Polly selbst hatte insgesamt zwölf Geschenke bekommen, denn Nicholas hielt sich an die alten Weihnachtstraditionen, sodass sie jeden Morgen eine neue Überraschung auf ihrem Kopfkissen vorfand. Da war ein Sattel aus gepunztem spanischem Leder, dann die passenden Stiefel, ein kleines Perlmuttmedaillon, Kämme in einem kleinen Etui, Spitzenrüschen und eines Morgens sogar eine aus Schildpatt gefertigte kleine Katze mit einem blauen Seidenband um den Hals.
»Sie heißt Annie«, erklärte Nick, ließ sich auf einen Ellenbogen gestützt neben sie sinken und genoss jede einzelne Gefühlsregung auf ihrem lebhaften Gesicht. »Aber Vorsicht, sie darf nicht so schmutzig werden, dass sie irgendwann weggeworfen werden muss.« »Oh, ich liebe dich!«, rief Polly und drückte ihn fest an sich.
»Und ich dich.« Nicholas streichelte die üppige, honigfarbene Fülle ihres Haares und starrte über Pollys Kopf hinweg ins Leere. Von irgendwoher ballten sich die Sturmwolken zusammen, und sosehr er sich auch den Kopf zerbrach, er fand beim besten Willen keine Erklärung dafür.
»Was ist denn los?« Polly spürte die plötzliche Anspannung in der Hand, die ihren Kopf streichelte, und setzte sich auf.
Nick lächelte und schob die böse Vorahnung beiseite. Solange er nicht wusste, was vor sich ging, waren ihm die Hände gebunden. »Was soll denn sein? Komm, lass uns reiten gehen.«
Ende Januar wurde Polly erneut bei den Bensons einquartiert. Der Hof war wieder in Whitehall, das Parlament in Westminster, und die durch die Pest dezimierte Einwohnerschaft der Hauptstadt begann sich langsam wieder aufzurappeln. Es gab noch immer Fälle von Pestausbrüchen, doch die Überlebensrate war inzwischen
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