Lockruf Der Leidenschaft
»Wenn Ihr bitte im Salon auf mich warten möchtet, komme ich sofort.«
Der Blick des Soldaten wanderte zum Fenster. »Ihr habt mein Wort«, ergänzte Nicholas.
Das Wort eines Gentlemans konnte er nicht ausschlagen. »Also gut, Mylord.« Der Leutnant schlug die Hacken zusammen und verließ mit seinen Gefolgsleuten im Schlepptau das Schlafgemach.
»Ich verstehe nicht, was hier los ist«, flüsterte Polly »Was hat das mit dem Verrat zu bedeuten?«
»Wenn ich das wüsste, könnte ich mich auch besser verteidigen«, erwiderte Nicholas und schwang sich aus dem Bett. »Aber es ist mein eigener Fehler.«
»Warum denn?« Polly saß da und sah zu, wie Nicholas sich anzog, wie gelähmt von einer verwirrenden, übermächtigen Angst, die sie im Würgegriff hielt. Die Welt, die Polly zu kennen geglaubt hatte, zerfiel mit einem Mal in ihre Einzelteile, und Polly schien nicht das Geringste tun zu können, um sie daran zu hindern. »Ich habe all das bereits kommen sehen, aber viel zu viel Zeit vergeudet«, erklärte Nick bitter und legte sein Degengehenk an.
»Ich habe es einfach nicht verstanden, und deshalb dachte ich nicht, dass es wirklich so dringend ist. Ich hätte London schon letzte Woche verlassen sollen.«
»Aber warum denn?« Verzweifelt versuchte Polly noch immer zu verstehen. »Was werden sie dir nun antun, Liebling?« Polly kniete sich aufs Bett und streckte die Hände nach ihm aus. »Sie werden bestimmt feststellen, dass das ein Irrtum war, und dann kommst du zurück. Genauso wird es doch sein, nicht wahr?«
Nicholas blickte in die riesigen Augen, die ihn mit der gehetzten Angst eines kleinen Tieres anblickten, das in eine Falle geraten war. Er ergriff die ausgestreckten Hände, legte sie zwischen die seinen und drückte sie an seine Brust. »Du musst zu De Winter gehen und ihm alles erzählen. Er wird am ehesten wissen, wie er dich beschützen kann. Sag ihm, dass der Haftbefehl Buckinghams Unterschrift trägt. Ich weiß zwar nicht, wie ich beim Herzog in Ungnade gefallen bin, aber gewiss liegt allein darin meine Verteidigung.«
Aufmerksam lauschte Polly Nicholas' ruhigen Anweisungen und spürte die warme Kraft in seinen Händen, während sie in Gedanken wieder Buckinghams Stimme hörte. »Jeder hat einen Preis. Und ich werde auch Euren herausbekommen, dass wir uns da nur richtig verstehen.« Wie naiv es gewesen war zu glauben, Buckingham würde sich dadurch ausreichend gerächt fühlen, dass er in Wilton House ein wenig mit ihr gespielt hatte! Stattdessen hatte er ihr in aller Deutlichkeit gesagt, dass er nun ihren Preis herausgefunden hatte - den unermesslichen Wert der Liebe.
Eine Vorahnung nahm ihre entsetzliche Gestalt an. Was bisher nur ein Geist gewesen war, besaß nun auch einen Körper. Nicks Stimme, sanft, doch eindringlich, versuchte noch immer, durch das graue Ödland der Erkenntnis zu Polly durchzudringen. Er beschwor sie, nicht den Mut zu verlieren. Er habe viele Freunde, die sich für ihn einsetzen würden - denn sobald Nick erst einmal in den Tower eingesperrt wurde, konnte er nichts mehr tun. Er konnte sich keinerlei Verteidigung zurechtlegen, ehe die Punkte der Anklage gegen ihn nicht klar und präzise formuliert worden waren.
An der Tür zum Schlafzimmer ertönte ein lautes Klopfen. Nick küsste Polly - ein kurzer, harter Abschiedskuss -, ließ ihre Hände los und legte ihr die Steppdecke um die Schultern. »Verliere nicht den Mut, Liebste. Darin darfst du mich nicht enttäuschen«, sagte er, den Blick aus den dunkelgrünen Augen noch immer fest auf ihr Gesicht gerichtet. »Und du musst Richard vertrauen. Er wird sich von nun an um dich kümmern.« »Mylord?« Die Tür wurde geöffnet, und Nick wandte sich zum Leutnant um. »Ich bin schon fertig.« Nicholas griff nach seinem Mantel.
»Ich muss Euch bitten, mir Euren Degen zu übergeben«, entgegnete der Leutnant mit etwas hölzernem Tonfall. Nick zögerte kaum merklich, ehe er mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen seinen Degen zog und ihn mit einem eleganten Schwung seinem Bewacher übergab. An der Tür wandte er sich noch einmal um und blickte zu Polly hinüber, die noch immer in ihre Steppdecke gehüllt auf dem Bett kniete. Er konnte noch immer die Kälte ihrer Hände in den seinen spüren, die eisige, überwältigende Angst, die sie hatte erstarren lassen, und er konnte es nicht ertragen, sie mit nichts anderem als diesem trostlosen Gelöbnis zurückzulassen. Er machte noch einmal einen Schritt auf das Bett zu. Der
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