Lockruf Der Leidenschaft
informierte, dass noch ein weiteres Gedeck aufgelegt werden solle.
Doch irgendwann konnte sich Margaret dann doch nicht mehr zurückhalten. »Wenn ich John Coachman richtig verstanden habe, Schwager, hast du Susan und Polly die Erlaubnis erteilt, den Exchange zu besuchen«, sagte sie, sorgsam darauf bedacht, ihre Bemerkung in sanftem Tonfall und begleitet von einem Lächeln vorzutragen. Das Lächeln reichte zwar nicht bis zu ihren Augen, aber andererseits war das bei Lady Margarets Lächeln ohnehin nur selten der Fall. »Jedenfalls sind sie noch nicht zurückgekehrt, und ohne sie ist die Küche in arge Bedrängnis geraten.« Scheinbar gedankenverloren steckte sie die Nadel in ihren Stickrahmen. »Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, Schwager, dass die Vergabe von freien Tagen der Herrin des Hauses überlassen bleiben sollte. Man kann von einem Mann schließlich nicht erwarten, dass er weiß, wann ein Dienstbote nur schwer zu entbehren ist.« »Wahrscheinlich nicht«, stimmte Nick ihr gelassen zu. »Bitte, nimm meine Entschuldigung an, dass meine Nachlässigkeit dir solche Schwierigkeiten bereitet hat. Allerdings kann die Küche Pollys Dienste noch nicht allzu schmerzlich vermissen, da sie bislang ja ohnehin noch nicht in deren Genuss gekommen ist. Die beiden sollten aber nichtsdestotrotz bald wieder hier sein. Ich hatte die Anordnung erteilt, dass sie zum Essen wieder zu Hause sein sollen.« Er lächelte verbindlich. »Darf ich dir noch einmal nachschenken, Richard?« »Danke sehr.« De Winter zwang sich mit bewundernswerter Mühe zu einer entspannten Miene und entbot Lady Margaret eine Bemerkung über das Wetter. Es war schwer, Gesprächsthemen zu finden, die die Puritanerin als passend erachtete, denn Hofklatsch, Mode und Politik wohnte in ihren Augen der böse Geist des Teufels inne. Religion, Kirchenmusik und das Wetter waren zwar erlaubte Themen, bargen jedoch nur wenig Fesselndes. Ein leises Klopfen an der Tür durchbrach schließlich die unangenehme Stille. Lady Margaret forderte den Anklopfenden zum Eintreten auf, und auf der Türschwelle erschien, sittsam und bescheiden in Schürze und Haube gekleidet, Polly. »Das Essen ist serviert, Mylady«
Richard De Winter rang hörbar nach Luft. Noch nie zuvor hatte er eine solche Schönheit gesehen. Polly, der sein Blick nicht entgangen war, musterte ihn mit unverblümter Abschätzung. Dann lächelte sie, vollführte einen eleganten Knicks und blickte durch ihre üppigen, geschwungenen Wimpern noch ein zweites Mal zu De Winter auf - und zwar auf eine Art und Weise, die man nur als provokativ bezeichnen konnte.
Dieses unverschämte Auftreten ließ Lady Margaret nach Luft schnappen. Darüber hinaus musste sie sich von dem Schock erholen, den eine rasche Musterung von Pollys Kleidung ausgelöst hatte. Ihr Schwager musste ein kleines Vermögen für die Sachen ausgegeben haben, für Kleider, die selbst einer Lady gebührt hätten. Empört funkelte Lady Margaret ihren Schwager an, der in dem Benehmen der Göre jedoch nichts Aufrührerisches zu bemerken schien.
In Wahrheit war Nick sogar hochzufrieden mit De Winters Reaktion und lediglich amüsiert über Pollys Erwiderung. Sie hatte in der Schenke »Zum Hund« gelernt, wie sie mit derlei Reaktionen umzugehen hatte, wie Nicholas sehr wohl wusste, doch lag in ihrem Auftreten nichts Anzügliches oder Vulgäres - kokett, gewiss, doch das war schließlich nicht verboten.
»Polly, ich möchte, dass du nach dem Essen in meinen Salon kommst. Dort sollst du deine erste Unterrichtsstunde erhalten«, sagte er, ohne den durchdringenden Blick seiner Schwägerin zu beachten. Pollys Augen leuchteten vor Freude. »Vielen Dank, Mylord.«
»Was für eine Unterrichtsstunde fragte Margaret. »Das Mädchen kann heute nicht noch einmal von seinen Pflichten entbunden werden.« Dann wandte sie sich an Polly, die noch immer lächelnd in der Tür stand. »Mädchen, hast du nichts Besseres zu tun, als dumm in der Gegend herumzustehen?«
Polly, die Nicholas' warnenden Blick bemerkte, verkniff sich die Erwiderung, die ihr bereits auf der Zunge gelegen hatte. Ihr war klar, dass sie in Lady Margaret eine mächtige Feindin hatte, aber sie wusste auch, dass Lord Kincaid ein noch mächtigerer Freund war. Er würde sie vor allem Unrecht beschützen, schließlich war er derjenige, der sie in diese Situation gebracht hatte. Obwohl Polly nach wie vor nicht den leisesten Schimmer hatte, weshalb er sie überhaupt hierher gebracht hatte. Denn
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