Lockruf Der Leidenschaft
berühmtberüchtigten und begehrlichen Augen ohne jeden Zweifel gefallen würde? Eine Mätresse, die Zugang zu all den privaten Konklaven erlangen würde, und wenn sie selbst noch nicht einmal wusste, dass sie als Spionin fungierte, wäre auch das Risiko der Entdeckung erheblich geringer. Mithilfe einer sorgfältigen Instruktion im Vorfeld und einer geschickten Befragung im Nachhinein sollten sie ihr all die so dringend benötigten Informationen entlocken können, ohne dass sie selbst etwas davon bemerken würde.
Das Ganze war zwar ein wenig heikel, doch es konnte durchaus funktionieren. Zumindest war dies die beste Gelegenheit, die sich ihnen seit langem geboten hatte. Lord Kincaid warf einen Blick auf die Uhr in seiner Westentasche, sah, dass die zwei Stunden, seit er seine angehende Spionin ihrem nassen Schicksal überlassen hatte, verstrichen waren, und kehrte zum Badehaus zurück. Er war mehr als gespannt darauf zu sehen, welche Verwandlung Wasser und Seife herbeigeführt haben mochten. Und er sollte nicht enttäuscht werden. »Du musst ja noch schmutziger gewesen sein, als ich dachte«, stieß Nicholas hervor, nachdem er sich von dem überwältigenden Anblick von Pollys durch nichts mehr verborgener Schönheit erholt hatte. Ihr Haar, sauber und glänzend, war von einer noch leuchtenderen Farbe als vermutet, und ihr Teint, befreit vom Schmutz, der förmlich in die Poren eingedrungen war, strahlte in einem durchschimmernden Elfenbeinweiß. Nur ihre Augen waren dieselben geblieben, abgesehen davon, dass sie in ihrem nun vor Sauberkeit strahlenden Umfeld ebenfalls noch leuchtender wirkten als zuvor. In Anbetracht seiner Erinnerungen an den Vorabend konnte Nicholas sich in etwa vorstellen, in welchem Zustand sich der Rest von ihr befinden mochte, der von ihrer schlichten, aber sauberen und untadeligen Kleidung verhüllt wurde. Sobald die Blutergüsse auf ihrem Hinterteil erst einmal abgeheilt waren, gab es keinerlei Makel mehr, der ihr perfektes Erscheinungsbild noch trüben könnte. Dieser Gedanke allerdings löste in Nicholas' Lendengegend ein unangenehmes Gefühl der Enge aus, sodass er sich abrupt zur Kutsche umwandte.
»Komm endlich, es ist Zeit, dass wir nach Hause zurückkehren. Den größten Teil meines Vormittags habe ich ohnehin schon verschwendet.«
Polly, hin- und hergerissen zwischen ihrem Groll über Nicholas' sachliches Benehmen und dem Genuss, den das ungewohnte, aber äußerst angenehme Gefühl der Sauberkeit und des feinen Leinens auf ihrer Haut auslöste, folgte ihm leicht verärgert. »Aber Ihr hattet doch versprochen, dass wir vielleicht noch einmal beim Exchange anhalten.« Mit einer offensichtlich unbewussten Eleganz raffte sie ihre Röcke und stieg anmutig in die Kutsche. Wo hat sie denn so etwas nur gelernt?, fragte Nicholas sich. Es schien, als ob ihr die Bewegungen regelrecht in die Wiege gelegt worden wären. »Ich setze dich und Susan beim Exchange ab. Später könnt ihr von dort aus zu Fuß nach Hause gehen.«
»Oh, bitte, Mylord. Meine Herrin ...«, stammelte Susan und lehnte sich über die Trennwand des Kutschbocks. »Keine Sorge, ich werde das schon mit Ihrer Ladyschaft regeln«, versprach Nicholas und machte sich schon einmal darauf gefasst, dass ihn eine reichlich unerfreuliche Szene erwartete, wenn Margaret herausfand, dass er ihrem Dienstmädchen ungeniert freigegeben hatte.
Pollys freudige Erregung war so unschuldig und kindlich und stand in so krassem Gegensatz zu ihrer reifen Schönheit, dass Kincaid Mühe hatte, einen gelassenen Gesichtsausdruck zu bewahren. Als ihm einfiel, dass dem Umherschlendern zwischen den Marktbuden etwas ganz Elementares fehlte, wenn man sich nichts kaufen konnte, reichte er Polly eine 20-Shilling-Münze.
»Es ist ja nun nicht gerade ein Vermögen«, erwiderte er lachend, als Polly ihn verblüfft anschaute. »Aber vielleicht findest du ja eine Kleinigkeit, die dir gefällt.« Ihm war nicht entgangen, dass auch Susan ihn verwundert anstarrte. »Teufel noch mal«, murmelte er. Warum hätte eine großzügige Geste bloß eine solche Wirkung? Aber natürlich wusste er sehr genau, warum das so war. Man schenkte Hausmädchen üblicherweise kein Geld, es sei denn, um sie für zuvor geleistete Dienste zu entlohnen - Dienste, die im Allgemeinen von einer ganz bestimmten Art waren. Eine derartige Schlussfolgerung aber sollte Margaret nicht ziehen können, denn in diesem Fall gäbe es nichts, was sie noch dazu bewegen könnte, das Haus mit einer Frau zu
Weitere Kostenlose Bücher