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Lockruf Der Nacht

Lockruf Der Nacht

Titel: Lockruf Der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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konzentrieren muss, um ihn zu verstehen, obwohl er direkt neben mir sitzt. Er erzählt mir etwas über Rhode Island, über die ersten Einwanderer im 17. Jahrhundert, unter denen, wie nicht anders zu erwarten, auch seine Ahnen waren und die Geschichte des Hauses, das im 19. Jahrhundert angefangen und Anfang des 20. beendet wurde. Wie viele alte Geister wohl in diesem Haus herumschwirren? Als ich zu meinem Glas greife, sehe ich, dass sich inzwischen jemand auf die beiden leeren Plätze gesetzt hat und mich ein eisblaues Augenpaar ansieht. Mo. Vor Schreck fasse ich daneben und kippe es, wie nicht anders zu erwarten, um. Der Inhalt breitet sich auf dem ganzen Tisch aus und hinterlässt einen hässlichen dunklen Fleck auf der strahlend weißen Decke. Ich spüre, wie die Hitze in meine Wangen steigt und sich ungebremst ausbreitet. Ausgerechnet jetzt sitze ich wie eine Tomate am Tisch.
    Yven gibt einem Bediensteten ein Zeichen und innerhalb einer Minute ist der Schaden behoben und ich habe ein neues Glas vor mir stehen. »Danke«, sage ich leise.
    »Darf ich vorstellen? Mein Bruder Morris und seine Frau Christine … Leia.«
    Ich erhebe mich und strecke erst Christine die Hand entgegen und dann ihm. Dabei achte ich genau auf seine Augen. Er weiß genau, wer ich bin, oder bilde ich mir das nur ein?
    Ich weiß nicht, wo ich hinsehen soll. Der Teller, die Tischdecke, das Besteck? Ich schiebe es hoch und runter, als mich eine Übelskeitswelle erfasst. Er ist verheiratet? Ich kann es nicht glauben. Ist er deshalb nicht mehr gekommen oder hatte er einfach nur genug von mir und wollte mir das nur nicht sagen? Ich entschuldige mich für einen Moment und gehe aus dem Saal. Ich brauche sofort frische Luft. Vor lauter Aufregung ist mir ganz schwindelig und ich muss mich an der Mauer abstützen und mich auf einen Punkt fokussieren. Was für eine Enttäuschung, Blamage, Schmach und Erniedrigung. Ich fühle mich verarscht wie in meinem ganzen Leben nicht.
    Als sich mein Pulsschlag einigermaßen beruhigt hat, gehe ich zurück und setze mich wieder an den Tisch. Lilith wirft mir einen fragenden Blick zu, und Payton, der hinter ihr sitzt, hat ein böses Funkeln in den Augen. Aber vielleicht bin ich auch nur schon paranoid.
    Die nächsten zehn Minuten widme ich ganz dem Essen auf meinem Teller, schiebe es von einer Ecke in die andere und vermeide es aufzusehen. Das Dinner scheint eine halbe Ewigkeit zu dauern. Die Sekunden tropfen in Zeitlupentempo vor sich hin.
    »Hast du keinen Hunger?« Anscheinend ist Yven meine Appetitlosigkeit auch aufgefallen.
    »Doch, ich habe nur ein bisschen Magendrücken.« Ab und zu kann ich mich doch nicht beherrschen und sehe zu ihm rüber. Jedes Mal treffen sich unsere Blicke und jedes Mal merke ich, wie mir das Adrenalin durch den Körper schießt.
    Mo ist aufgestanden und hebt sein Glas zu den hundert Gästen im Saal. »Auf unsere Mutter und ihr traditionelles Fest, das in diesem Jahr und in den folgenden bedauerlicherweise ohne ihre Anwesenheit auskommen muss. Was uns aber nicht auf die Tradition verzichten lässt, noch viele weitere große Feste unter ihrer stillen Herrschaft zu feiern. Auf Isabella Eltringham.« Ein Murmeln geht durch den Saal, Stühle werden verrückt und alle tun es dem Gastgeber gleich, stehen auf und rufen einstimmig: »Auf Isabella Eltringham.«
    Nach zwei quälend langen Stunden ist es endlich vorbei. Kaum erhebt sich der erste Gast, entschuldige ich mich bei Yven und laufe aus dem Saal. Erst auf dem Zimmer atme ich wieder durch und bin froh für einen Moment allein zu sein, als Lilith reinkommt.
    »Was ist mit dir denn los?«
    »Er ist verheiratet.«
    »Wer?«
    »Mo, Morris.«
    »Bist du denn sicher, dass er es ist?«
    »Tausend Prozent.«
    »Diese Prozentzahl überzeugt mich«, sagt sie lachend und setzt sich aufs Bett. »Lass mich sehen, was ich aus Payton rausbekommen kann.«
    »Was ist mit euch beiden?«
    »Er hat sich bei mir für sein unmögliches Benehmen entschuldigt und sagte, er war außer Landes, hat aber immer an mich denken müssen.«
    »Ja, klar.« Mein Ton trieft vor Sarkasmus.
    Doch Lilith sieht so glücklich aus, dass ich meine schlechte Stimmung nicht auf sie übertragen will. »Wie geht es bei euch nun weiter?«
    »Keine Ahnung. Also wenn ich heute Nacht nicht hier schlafe, weißt du, wo ich bin.« Sie setzt eine vieldeutige Miene auf.
    Die Musik unten wird lauter. Zeit zum Tanzen.
    Lilith zupft vor dem Spiegel ein paar unbändige Haare zurecht, dreht sich ein

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