Lockruf der Toten / Magischer Thriller
Erde gefangen, während ich hier saß und zerstreut verfolgte, wie Flugzeuge summten und Fliegen herumrannten …
Jetzt reicht’s. Konzentrier dich.
Es dauerte eine Weile, aber irgendwann hatte ich einen Punkt erreicht, an dem keine Bilder, keine Gerüche, Empfindungen, Geräusche oder auch nur Gedanken mehr zu mir durchdrangen. Nur ich selbst noch, die jeder Seele in der Nähe befahl, zu ihrem Körper zurückzukehren.
Von links kam ein leises Geräusch, so schwach, dass ich es zunächst für das Rascheln eines Blattes hielt. Dann hörte ich Jeremy, der leise meinen Namen rief.
Ich sprang auf und rannte der Stimme nach. Jeremy ging auf ein Beet voller Rosenbüsche zu; er ging rasch, den Blick auf einen Fleck gerichtet, an dem die Erde sich zu bewegen schien. Etwas Kleines, Graues schoss dort hin und her, als versuchte es, den Dreck zur Seite zu schieben.
Jeremy wurde langsamer. »Ist das nicht die Stelle, wo …«
Der Erdboden barst mit einem Schauer von Brocken auseinander. Sogar Jeremy fuhr zurück.
»Rarr – rarr – rarr …«
Das heisere, verzerrte Geschrei hallte durch den Garten, während die Erde weiterhin in alle Richtungen flog; das Ding in der Mitte zappelte so wild herum, dass es kaum mehr war als ein verschwommener Fleck. Ich sah etwas Langes und Flaches und Breites, das auf den Boden einschlug – einen Flügel.
Der tote Vogel. Der Vogel, den Jeremy entdeckt und den ich wieder begraben hatte.
Als mir aufging, was es war, erkannte ich auch die Teile – den herunterhängenden augenlosen Kopf auf dem gebrochenen Hals, ein Bein, das sich in die Erde krallte und versuchte, einen Halt zu finden, während das andere klauenlos herumstocherte. Der eine Flügel schlug hektisch im Versuch, sich vom Boden zu heben. Der Vogel schrie vor Angst und Schmerzen, als er versuchte, seinen zerschmetterten Körper unter Kontrolle zu bringen. Der Gestank erfüllte die Luft, der fürchterliche, faulige …
»Jaime!« Eves Stimme klang mir scharf im Ohr. »Schick ihn zurück.«
Ich konnte nichts weiter tun, als den Vogel anzustarren.
»Verdammt noch mal, Jaime. Schick ihn zurück!«
Ich kam mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück; die Beschwörung, die die Seele von ihrem Körper befreien würde, flog mir von den Lippen. Das verzerrte Gekreisch verstummte; der winzige Leichnam fiel auf den Boden zurück, und lose Erde prasselte auf ihn herunter.
Sekundenlang rührte sich niemand. Selbst Jeremy schien es die Sprache verschlagen zu haben.
Leben aus dem Tod. Die finsterste Macht von allen. In meinen Händen.
Nach ein paar Sekunden begann Jeremy aufzuräumen. Er sagte irgendetwas zu mir, und ich antwortete, aber ich weiß nicht, was ich sagte. Ich ging an ihm vorbei, so starr und blicklos wie eine Schlafwandlerin. Er griff nach meinem Arm und versuchte mich zum Stehenbleiben zu bewegen, aber ich murmelte irgendetwas – auch hier erinnere ich mich nicht, was es war – und ging weiter.
Ich kehrte zu meinem rituellen Arrangement zurück und kniete mich davor. Ein Stein bohrte sich mir hart genug ins Schienbein, um die Haut zu durchschneiden. Warmes Blut quoll heraus. Ich brachte die zum Zusammenzucken nötige Energie nicht auf.
»Es ist vorbei«, sagte Eves Stimme irgendwo in der Nähe. »Yeah, es war ziemlich übel, aber es ist vorbei, und der Vogel ist wieder frei, und es ist alles so schnell passiert, dass er sich wahrscheinlich jetzt schon an nichts mehr erinnert.«
Sie sprach weiter, versicherte mir, dass mit dem Vogel alles in Ordnung sei, aber wir wussten beide, dass ich keinen zerstörten, verwesenden, vor Angst schreienden Vogel vor mir sah, wenn ich die Augen schloss. Ich sah ein Kind. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mir allenfalls vorstellen können, was ich diesen Kindern antun würde. Jetzt konnte ich es sehen, hören und riechen.
»Wir finden eine andere Methode.« Jeremys Stimme irgendwo oberhalb von mir; die Worte trieben an mir vorbei.
Eve sagte nichts, aber ich spürte ihre Anspannung noch in ihrem Bemühen, den Mund zu halten.
»Wir finden eine andere Methode.« Jetzt war die Stimme neben mir, als sei er in die Hocke gegangen.
»Er hat recht«, sagte Eve schließlich. »Das war eine schlechte Idee …«
»Nein, ich mache es.«
»Du brauchst nicht …«, begann Jeremy.
»Doch.« Ich folgte dem Klang seiner Stimme, zwang meinen Blick, sich ein Ziel zu suchen, und sah ihn neben mir kauern. »Dieses Mal lasse ich die Seele gehen, sobald wir etwas gesehen haben. Wir haben
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