Lockruf der Toten / Magischer Thriller
nicht. Wir haben hier nicht viele Einsatzmöglichkeiten für ihre Fähigkeiten gesehen.«
»Dann unterschätzt ihr sie«, sagte Aratron. »Was nicht nur kurzsichtig ist, sondern bei einem Espisco auch nicht ganz ungefährlich. Unter den Halbblütigen der faszinierendste Subtyp. Und ganz außergewöhnlich selten. Luzifer ist sehr wählerisch in der Frage, wo er seinen Samen sät. Ihre Mutter muss eine bemerkenswerte Frau sein.« Er wandte sich an Eve. »Ich würde das Mädchen bei Gelegenheit gern kennenlernen. Du wirst etwas arrangieren, nehme ich an.«
Ein seltsamer Ausdruck ging über Eves Gesicht. Hätte ich sie nicht so gut gekannt, hätte ich es als Eifersucht interpretiert – weil Aratron sein Interesse an einer interessanteren Halbdämonin äußerte. Wahrscheinlicher war allerdings, dass es Eve einfach nicht passte, Anweisungen entgegenzunehmen, ganz gleich, von wem diese Anweisungen kamen.
Aratron wartete nicht auf eine Antwort; stattdessen stieg er auf die Umfassungsmauer und trat neben das Grab.
»Hier liegt das Kind also. Wir sollten lieber zur Sache kommen, bevor Bradford Gradys Begleiterin anfängt, sich über seinen langen Aufenthalt im Bad zu wundern.«
Er ging in die Hocke, räusperte sich und fiel in Gradys Tonfall. »Hier, Jaime? Ist das die Stelle, an der du es spürst?«
Dann ging er zu einer gespenstisch treffenden Imitation meiner eigenen Stimme über: »Ja, Bradford. Fühlst du es nicht auch?«
»Doch, ich glaube, ich fühle es. Ein Übel, ein großes Übel herrscht an diesem Ort.« Ein dramatisches Zusammenschaudern. »Wir müssen die Quelle dieser dämonischen Schwingungen aufdecken, erst dann werden die gequälten Seelen Frieden finden.«
»Du amüsierst dich bestens, ja, Aratron?«, erkundigte sich Eve.
Ein hochmütiges Stirnrunzeln in ihre Richtung. »Ich bin ein Eudämon. Wir sind außerstande, uns zu amüsieren.« Zurück zu meiner Stimme. »Es sieht so aus, als wäre die Erde hier aufgewühlt worden, Grady, aber ich fürchte mich davor …«
»Keine Sorge, süße Dame, gern werde ich es übernehmen, mir für dich die Hände zu beschmutzen.«
Er zog die Finger durch die Erde. »Was ist das? Es sieht aus wie ein Finger.« Weiteres Graben. »Ein Finger, der noch mit einer Hand verbunden ist. Heilige Mutter Gottes, Jaime, wir haben eine Leiche gefunden. Wir müssen sofort den Behörden Bescheid sagen.«
»Den Teil solltest du vielleicht besser Jaime überlassen«, sagte Eve.
»Ich habe eine bessere Idee.« Er sah zu mir herüber. »Wie heißt diese Frau?«
»Claudia.«
Er räusperte sich und donnerte in einer Lautstärke, die eines Marlon Brando würdig gewesen wäre:
»Claudia!«
Zwei weitere Brüller, dann kam von der Terrasse her die Stimme eines Wachmanns. »Ich glaube, es ist Mr. Grady. Es hört sich an, als wäre er in Schwierigkeiten.«
»Ich hole jemanden«, antwortete eine zweite Person.
Aratron lächelte. »Noch zwei Minuten bis zu einer angemessen dramatischen Entdeckungsszene, einer mit genug Zeugen, dass sie nachträglich nicht mehr zu vertuschen wäre. Ich werde Bradford Grady in seinen Körper zurückkehren lassen, aber ich bleibe in der Nähe für den Fall, dass er seinen Aufgaben nicht gewachsen ist.«
»Danke.«
Ein großmütiges Nicken. Gradys Körper stolperte nach hinten und wäre fast in die Büsche gefallen, aber Jeremy fing ihn rechtzeitig ab.
Grady zwinkerte verwirrt. »Was …? Wo …?«
»Du hast gerade eine Leiche gefunden«, sagte ich.
Ich bin mir sicher, als Grady sah, was er »getan« hatte, war sein erster Gedanke, schleunigst von der Bildfläche zu verschwinden, bevor die Polizei eintraf – oder die bösen Mächte ihn ebenfalls in das Grab hinunterzogen. Aber inzwischen waren die Wachmänner eingetroffen und zusammen mit ihnen auch Claudia, Becky und Will, und er schätzte rasch seine Möglichkeiten ab. Wenn er sich darauf einließ, würde er als Held in den Schlagzeilen der Lokalzeitungen auftauchen. Wenn er behauptete, die Leiche als willenloser Sklave einer dämonischen Macht gefunden zu haben, würde er als Knallkopf in den Schlagzeilen der Lokalzeitungen auftauchen. Als der intelligente Mann, der er war, entschied er sich für die erste Möglichkeit.
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35 Schlagzeilen
D ie Polizeibeamten kamen. Sie sahen. Sie riefen Verstärkung.
Mit der Exhumierung der Leiche würde man warten müssen, bis der Schauplatz untersucht war. Zuvor wurde ich noch befragt, wobei die Ermittler mich gleich vorwarnten, dass später mit
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