Lockruf der Toten / Magischer Thriller

eine Delle hinterließ.
    Savannahs Hände schossen wieder nach oben wie bei einer Dirigentin, die das Crescendo vorgibt. Wieder eine donnernde Formel; ihre Lippen legten die Zähne bloß, als fauchte sie die Worte in den Himmel. Dann verkrampfte sie sich; ihre Arme streckten sich ruckartig nach den Seiten aus, ihr Kopf flog nach hinten. Ich rannte auf sie zu. Ein fürchterlicher Knall wie bei einer Fehlzündung. Ich stolperte, und der Himmel wurde hell.
    Ringsum begannen die Bäume zu zittern und zu stöhnen. Tote Blätter regneten auf uns herunter. Ein starker Windstoß fegte an mir vorbei, und mir war klar, dass dies kein wirklicher Wind war; es waren Geister. Keine menschlichen Geister, sondern etwas Primitiveres, Elementareres. Bevor ich Savannah erreicht hatte, riss einer davon mich zu Boden.
    Ringsum war es sehr still geworden, und der Himmel über uns schimmerte in einem unheimlichen Rot, warnend wie die Ruhe vor dem Sturm. Der rote Schein über unseren Köpfen schien sich in kreisende Bewegung zu setzen, nahm an Geschwindigkeit und an Größe zu wie ein Tornado. Er wurde blau. Nahm dann ein grünliches Gelb an. Dann jagte er abwärts und traf unmittelbar neben Molly auf dem Boden auf. Sie schrie und wich zurück. Ein weiterer Blitz ging hinter ihr nieder.
    Ich kämpfte mich auf die Beine. Savannah stand immer noch da wie erstarrt, auf den Zehenspitzen, die Augen geschlossen. Rings um uns her begann ein seltsamer farbiger Nebel aus dem Boden aufzusteigen und in die Luft hinaufzuschießen. Elementargeister. Ich konnte sie spüren – sie erschienen jetzt überall, brachen aus der Erde hervor wie Geysire, rissen Erdbrocken und Steine mit sich, die wie ein Regen auf uns niedergingen.
    »Sav…«, begann ich, aber ein ohrenzerreißendes Heulen unterbrach mich.
    Ich versuchte es noch einmal – das Heulen der Geister rings um Molly übertönte meine Stimme. Dann schoss einer davon unmittelbar unter ihr hervor und traf sie, und ihr Mund öffnete sich; ihre Augen wurden weit, als sie nach Luft zu ringen begann. Ein weiterer Lichtblitz lenkte auf sie zu und dann noch einer; das Heulen wurde zu schrillen Schreien, als sie ihre Beute gefunden hatten. Molly fiel auf die Knie, griff sich mit beiden Händen an die Kehle; ihr Mund krampfte in dem Versuch zu atmen, aber sie erreichte nichts, als den Geistern ihren Atem zu überlassen. Ihre Augen begannen hervorzutreten.
    »Savannah!«, brüllte ich über den Höllenlärm hinweg.
    Sie drehte sich zu mir um, die Lippen verzerrt. »Ich hab gesagt, du sollst auf mich warten!«
    Ich ging mit langen Schritten auf sie zu, bis ich dicht genug vor ihr stand, um etwas wie Unsicherheit in ihren Augen aufflackern zu sehen.
    »Du hast sie besiegt«, sagte ich. »Sie ist am Boden. Was versuchst du jetzt noch zu erreichen – willst du sie umbringen?«
    Savannah zögerte.
    »Im Moment kommt dir das vielleicht wie eine ganz gute Idee vor. Sie hat mich gekidnappt. Sie könnte gefährlich werden. Aber kannst du es Paige gegenüber rechtfertigen?« Ich legte eine kleine Pause ein. »Kannst du es dir selbst gegenüber rechtfertigen?«
    Sie errötete, hob die Hände und wirkte etwas. Eine Sekunde lang geschah gar nichts. Sie wiederholte die Formel, schneller diesmal, mit besorgt glänzenden Augen, und mir wurde klar, dass die erste Formel fehlgeschlagen war. Ich hielt den Atem an, als sie die zweite zu Ende brachte. Eine scheinbar endlose Pause, während Molly mit den Händen in die Luft schlug; ihr Gesicht begann blau anzulaufen. Ein zweiter Donnerschlag. Ein zweites rotes Aufleuchten des Himmels. Und die Geister verschwanden.
    Molly fiel nach vorn auf alle viere.
    »Das waren bloß Koyut«, sagte Savannah, während wir beide zu Molly hinrannten. »Sie wäre einfach nur ohnmächtig geworden.«
    »Bist du dir da sicher?«
    Sie wurde wieder rot, und ich wusste, sie war es nicht.
    Während Savannah einen Bindezauber sprach, packte ich Mollys Hände und band sie ihr im Rücken zusammen. Es war nicht nur Rachsucht, obwohl es ein ausgesprochen gutes Gefühl war, zur Abwechslung sie zu fesseln. Die meisten der wirklich üblen Hexenformeln sind in Wirklichkeit Magierformeln und erfordern Handbewegungen. Fesselt man einer Hexe die Hände, ist sie weitgehend wehrlos. Nicht vollständig – es gibt immer noch die hexeneigene Magie –, aber ich lasse mich jederzeit lieber von einem Bindezauber als von einem Energieblitz erwischen.
    »Gute Idee«, sagte Savannah; ihre Stimme klang beinahe, als wollte