Lockruf der Toten / Magischer Thriller
gesagt.«
»Nein, aber du hast es gedacht. Also komm schon, wir suchen uns einen sichereren Ort, und ich erklär’s.«
Als wir die Straße entlanggingen, warf ich einen weiteren verstohlenen Blick auf ihn. Etwa eins fünfundachtzig, hager und athletisch, wobei er Letzteres selten erkennen ließ … außer, wenn er gerade über mannshohe Zäune sprang. Nicht die Art Manöver, die man bei einem Mann von achtundfünfzig Jahren erwarten würde, aber man vergaß bei Jeremy mühelos, wie alt er wirklich war. Werwölfe altern langsam, und angesichts der silbernen Fäden, die sich in seinem dunklen Haar zu zeigen begannen, und der angedeuteten Linien um den Mund hätte ich ihn auf mein eigenes Alter geschätzt – oder weniger.
Paige schwor, Jeremy habe asiatisches Blut, wahrscheinlich von seiner Mutter her, aber es hätte keinen Zweck gehabt, ihn danach zu fragen – er wusste absolut nichts über die Frau. Sie war kurz nach seiner Geburt aus seinem Leben verschwunden. So war das in der Welt der Werwölfe, in der Mütter und Schwestern keine Rolle spielten, Ehefrauen nicht vorkamen und selbst die Freundinnen in schneller Folge kamen und gingen. Elena war die einzige Ausnahme – der einzige weibliche Werwolf der Welt.
Es war eine reine Männerwelt. Das Rudel und die Bande innerhalb des Rudels waren alles, und jeder andere war ein Außenseiter. Und dies war der Mann, in den ich mich verliebt hatte – der Anführer einer Welt, in der ich immer
die andere
sein würde. So wie es aussah, war auf mein Herz manchmal so wenig Verlass wie auf mein Hirn.
»Hier«, sagte er, während er mich auf einen dunklen Spielplatz führte.
Seine Finger lagen immer noch auf meinem Arm, und ich ertappte mich bei dem Bemühen, nicht zu viel in die flüchtige Berührung hineinzuinterpretieren, die an meinem Arm entlangprickelte. Und doch – es
hatte
etwas zu bedeuten. Werwölfe haben im Umgang miteinander sehr viel Körperkontakt, aber für Außenstehende gelten andere Regeln. Clay, das wolfsähnlichste Mitglied des Rudels, vermeidet es sogar, Menschen die Hand zu geben. Elena ist in dieser Hinsicht höflicher, aber auch bei ihr war mir schon sehr früh klar gewesen, dass sie nicht zu den Leuten gehört, die zur Begrüßung in den Arm genommen werden wollen.
Jeremy vermeidet den Kontakt nicht, aber er initiiert ihn auch nicht. Dies allerdings hatte sich im Lauf des letzten Jahres geändert.
Als Nächstes erwischte mich dabei, dass ich seine Berührung einzuordnen versuchte. Hatte er fester zugefasst als sonst? Länger gewartet, bis er losließ? Ich suchte nach Anzeichen dafür, dass etwas anders geworden war – dass etwas anders werden
würde,
einen Hinweis darauf, dass er hierhergekommen war, um den nächsten Schritt zu tun. Eine Menge Bedeutung, die ich da in einer einzigen Berührung zu finden versuchte, und natürlich fand ich sie dort nicht – nicht wirklich.
Der Park war kaum halb so groß wie die umliegenden Privatgrundstücke – eben genug Platz, dass die Leute, die das Wohnviertel geplant hatten, eine Schaukel, eine Rutsche und eine Bank hatten unterbringen können, um dann zu sagen: Seht her, sogar für einen Spielplatz haben wir gesorgt. Es war inzwischen vollkommen dunkel geworden, und die Geräte waren verlassen.
Jeremy winkte mich zu der Bank hinüber. »Ich würde mir die Schramme an deinem Kopf gern ansehen.«
»Wie –? Oh, du hast das Blut gerochen.«
Ich zeigte auf die Stelle. Er schob mein Haar zur Seite und untersuchte sie; seine Berührung war so leicht, dass ich sie kaum spürte. Dann überprüfte er meine Pupillen und fragte mich, ob mir übel sei oder ich irgendwelche Schmerzen an anderer Stelle als der des Aufschlags spürte. Nein und nein.
»Ich werde ein Auge auf dich haben müssen, um sicher zu sein, dass du keine Gehirnerschütterung hast, aber es scheint alles in Ordnung. Aber jetzt …« Er setzte sich neben mich auf die Bank. »Was ist passiert?«
Ich erzählte es ihm.
Während wir auf das Taxi warteten, zog ich die Jacke dichter um mich, um den schneidenden Wind fernzuhalten. Es war Jeremys Jacke. Er hatte sie mir angeboten, und ich hatte sie sehr ungern angenommen, aber mit dem Sonnenuntergang war auch die Temperatur abgestürzt.
Ich sah zu ihm auf. »Geister spielen wirklich manchmal Streiche. Ich habe das selbst schon erlebt. Aber diese hier durchbrechen die physische Barriere. Das ist etwas anderes.«
»Ich weiß. Aber was man von dieser volkstümlichen Menschenmagie halten
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