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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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erinnerte mich ihrer Worte vom vergangenen Abend – daß sie mich um die Möglichkeit beneide, einfach fortgehen und den Mann heiraten zu können, den ich liebte. »Es interessiert mich im Grund gar nicht, wer mir das Buch gebracht hat. Es ist belanglos. Von Belang ist einzig, daß ich die Wahrheit erfahren habe.« Mein Blick fiel auf meine leblosen Hände. »Und dafür bin ich dankbar.« Keiner sagte etwas, und in der bedrückenden Stille war nur das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims zu hören. Schließlich schob ich meinen Stuhl vom Tisch zurück und stand auf.
    »Ich mache jetzt einen Spaziergang«, sagte ich. »Oh, keine Sorge, Theo, ich habe nicht die Absicht, zum Wäldchen zu gehen. Ich werde die andere Richtung einschlagen. Ich weiß aus Erfahrung, daß ein Spaziergang mir guttut, wenn ich verwirrt bin und meine Gedanken ordnen möchte. Bitte entschuldigt mich.«
    Theo und Colin standen auf. Ihre Gesichter waren verschlossen. Einen Moment lang schien es, als wolle Theo etwas sagen, aber dann tat er es doch nicht.
    Während ich mich oben in meinem Zimmer zum Ausgehen ankleidete, hörte ich draußen einen Wagen vorfahren. Ich schaute hinunter und sah einen stattlichen älteren Herrn mit einer schwarzen Ledertasche aussteigen und zum Haus gehen. Einen Augenblick später, gerade als ich mein Zimmer verlassen wollte, hörte ich im Flur jemanden vorübergehen – genau wie in der letzten Nacht –, hörte Annas verzweifeltes Flüstern und daneben die beruhigende Stimme eines Mannes. Dr. Young war erneut gekommen, um nach Henry zu sehen. Ich nahm mir vor, meinen Onkel später zu besuchen, und ging die Treppe hinunter zur Haustür. Der eisige Wind packte meinen Umhang und meine Röcke, als ich ins Freie trat, aber die frische Luft und die beißende Kälte taten mir gut. Mit erhobenem Kopf stellte ich mich dem Wind entgegen und ging tief Atem holend auf dem Kiesweg vom Haus zur Straße nach East Wimsley.
    Mehrere Stunden lief ich unter verhangenem Himmel durch morastiges Gelände. Meine Finger waren gefühllos vor Kälte, mein Gesicht prickelte wie von tausend Nadelstichen, aber der lange Marsch tat mir gut, und ich hatte Zeit zum Nachdenken. Bei diesem Wetter war außer mir niemand unterwegs, und so konnte ich ungestört meinen Gedanken nachhängen und versuchen, mich auf die neue Situation einzustellen. Es war wirklich so, daß eine neue Phase meines Lebens begonnen hatte. Seit ich jene Passage in Thomas Willis’ Buch gelesen hatte, war alles, was mir gestern noch wichtig erschien, bedeutungslos geworden. Tante Sylvias gefälschter Brief, die Vernichtung meines Schreibens an Edward, der Diebstahl von Theos Ring und alle anderen Geheimnisse, die meine Verwandten umgaben. Vor allem aber war der heftige Wunsch, die Erinnerung an meine frühe Vergangenheit wiederzufinden, völlig geschwunden.
    Ich wußte jetzt, daß das, was man mir über meinen Vater berichtet hatte, der Wahrheit entsprach. Er war ein Opfer der Pemberton Krankheit geworden und hatte diese unsäglichen Verbrechen im Fieberwahn verübt. Ein wissenschaftlicher Beobachter hatte die Geschichte der Pembertons aufgezeichnet; was meinem Vater widerfahren war, hatte schon seine Vorfahren zugrunde gerichtet, so, wie Henry es erlitt. Und früher oder später würde es auch mich treffen.
    Ich konnte jetzt nicht mehr nach London zurückkehren. Damit hatte ich mich bereits abgefunden, denn Edward bedeutete mir nichts mehr. Im Rückblick schien es mir, als hätte ich ihn niemals wirklich geliebt; ich hatte ihn nur leiden mögen und in schwerer Zeit bei ihm Trost und Geborgenheit gesucht.
    Jetzt waren diese Menschen meine Familie, und dieses Haus war mein Heim. Und so würde es bleiben bis an das Ende meines Lebens.
    Der Wagen stand noch vor der Remise, als ich zurückkam. Ich betrat das Haus durch die Hintertür, da ich niemandem begegnen wollte, und huschte leise die Treppe hinauf in mein Zimmer. Das Mädchen hatte schon Feuer gemacht und die Öllampen angezündet, so daß mich angenehme Wärme und Helligkeit empfingen, als ich eintrat. Thomas Willis’ Buch lag auf dem kleinen Tisch beim Sofa, der Grund für die unerwartete Wende, die mein Leben genommen hatte. Doch ich verspürte weder Bitterkeit noch Groll; still nahm ich das Schicksal hin, gegen das jeder Kampf sinnlos war.
    Als ich am Toilettentisch saß und mein Haar ordnete, klopfte es. Einen Moment lang hoffte ich, es wäre Colin, und war selbst überrascht über meine Enttäuschung, als ich Theo auf der

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