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Lockruf der Vergangenheit

Lockruf der Vergangenheit

Titel: Lockruf der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: wood
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»Ja, natürlich, Mrs. Pemberton. Ich habe soeben Ihre schöne Nichte begrüßt, die ich noch nicht kannte.« Wieder richtete er sich an mich. »Sie haben bisher in London gelebt?«
    »Ja, Doktor. Kennen Sie London?«
    Er lachte leise, nicht über mich oder meine Frage, sondern über etwas, das ihm durch den Kopf ging; als hätte meine Frage ihn an etwas Erheiterndes erinnert. »Ja, Miss Pemberton, ich kenne London.«
    »Dr. Young – « Annas Stimme klang schrill.
    »Ich bin ja da, meine Liebe. Sie dürfen sich nicht so aufregen.« Jetzt wandte er Anna seine ganze Aufmerksamkeit zu, und es war, als ob wir anderen nicht mehr vorhanden wären. Ich war erstaunt, wie rasch es ihm durch diese Zuwendung gelang, sie zu beruhigen.
    Das war ein Arzt, sagte ich mir, der nicht nur für das Wohl des Körpers zu sorgen verstand, sondern auch für das der Seele.
    »Er ist jetzt wach, Dr. Young. Aber er will einfach nichts essen«, sagte Anna.
    »Gut, ich gehe gleich zu ihm hinauf.« Dr. Young richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Entschuldigen Sie mich jetzt, Miss Pemberton. Ich muß nach Ihrem Onkel sehen. Aber ich werde gleich wieder da sein und dann das Vergnügen haben, in Ihrer Gesellschaft zu Abend zu essen.«
    Ich sah ihm nach, als er hinausging, und hatte das Gefühl, als würde es plötzlich kühler im Zimmer. Doch mir blieb keine Zeit über den Eindruck nachzusinnen, den dieser Mann auf mich gemacht hatte; kaum nämlich war er mit Anna zu Henry hinaufgegangen, da kam Colin herein, noch im Reitkostüm, die Hände in den Hosentaschen.
    »Garstiges Wetter draußen«, bemerkte er und ging zur Kredenz, um sich ein Glas Sherry einzuschenken.
    »Du bist wirklich ein unglaublicher Flegel, Colin«, sagte Theo erbittert. »Kommst hier herein, als gäbst du eine Vorstellung im Hippodrom. Als wüßtest du nicht, daß man sich zum Abendessen kleidet.« Colin sah an sich hinunter. »Bin ich vielleicht nackt?« Martha fuhr hoch. »Colin!« Ihr Gesicht war blutrot. »Entschuldige, Schwesterherz. Ich weiß, das war kein guter Scherz. Nun, Leyla?« Er kam mit seinem Glas in der Hand auf mich zu. »War der Spaziergang schön?« Es klang fast angriffslustig, wie er das sagte.
    »Sehr schön, ja.«
    »Jetzt brauchst du dir nur noch von mir das Reiten beibringen zu lassen.«
    »Das würde mir sicher Spaß machen.« Unsere Blicke trafen sich. »Wirklich?« fragte er ruhig. Er stand nahe bei mir, und während ich ihn unverwandt ansah, begann mein Herz aufgeregt zu pochen. Unmöglich, sagte ich mir beinahe zornig, daß dieser ungehobelte Mensch eine solche Wirkung auf mich haben sollte. Nein, das kam sicher einzig von dem Sherry, den ich getrunken hatte.
    »Darf ich dann jetzt ins Speisezimmer führen?« Er bot mir seinen Arm, und ich legte meine Hand darauf. Theo und Martha folgten uns. Da wir nur zu viert waren, veränderten wir die Sitzordnung der Behaglichkeit wegen. Theodore und Colin setzten sich Martha und mir gegenüber, und als das Mädchen mit der Suppe kam, versiegte der Etikette gemäß zunächst einmal unser Gespräch.
    Dr. Young und Anna gesellten sich wenig später zu uns. Henry hatte, so berichteten sie, ein Pulver bekommen und lag jetzt in ruhigem Schlaf. Während wir aßen, warf ich immer wieder einen Blick zu Dr. Young hinüber, dessen ruhiges Selbstbewußtsein mich so sehr beeindruckte. Und wenn er es bemerkte, antwortete er mit diesem warmen Lächeln, das ich so vertrauenerweckend fand.
    Als nach dem Braten das Gemüse aufgetragen wurde, brach irgend jemand in unserem Kreis das Schweigen. Um Anna, die sehr niedergeschlagen und müde wirkte, ein wenig zu erheitern, erzählte Dr. Young eine witzige Anekdote von der neuen Mode, am Meer Urlaub zu machen. Wir lachten alle, doch Anna brachte nicht einmal ein höfliches Lächeln zustande. Ich hatte den Eindruck, daß sie gar nicht zugehört hatte; sie wirkte in sich gekehrt und aß kaum einen Bissen.
    »Ich war noch nie am Meer, Dr. Young, aber ich habe mir sagen lassen, daß so ein Seeaufenthalt sehr gesund ist.«
    Er nickte. »Die Luft ist gut für die Atmungsorgane, und das Wasser wirkt auf den ganzen Körper erfrischend. Ich empfehle so einen Aufenthalt allen meinen Patienten, den kranken wie den gesunden.«
    »Ich glaube, mir würde das überhaupt keinen Spaß machen«, bemerkte Martha und sah Dr. Young mit einem beinahe koketten Lächeln an. »Der viele Sand und der ständige Wind würden mich nur stören. Ganz zu schweigen von dem schmutzigen Wasser.«
    Während

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