Lockruf des Blutes
Zeitungsständer. Ich werfe die passenden Münzen ein, hole eine Zeitung heraus und klemme sie mir unter den Arm. Ich bin gerade dabei, in der Handtasche nach meinem Autoschlüssel zu suchen, als ich blindlings gegen den letzten Menschen laufe, mit dem ich hier gerechnet hätte – mein sporadisch fester Freund Max.
So viel zu den katzenhaften Reflexen der Vampire. Ich pralle buchstäblich von seiner Brust ab. Er lacht und hält mich sacht auf Armeslänge von sich.
»He, Sonnenschein. Wohin denn so eilig?«
Max ist einer dieser großen, gutaussehenden Männer, die das Herz jeder Frau – ob menschlich oder vampirisch – schneller schlagen lassen. Er ist knapp eins neunzig groß und wiegt muskulöse hundertzwölf Kilo. Er ist lateinamerikanischer Abstammung und hat Augen von der Farbe des Ozeans. Die Kombination sonnengebräunter Haut mit dunklem Haar und diesen prächtigen Augen verschlägt mir jedes Mal wieder den Atem.
Heute Morgen trägt er Shorts und ein Muscleshirt, das einen Großteil seiner körperlichen Vorzüge bestens zur Geltung bringt.
Die meisten. Nicht alle.
Er hält mich an den Armen fest und lächelt auf mich herab. Ich fasse mich rasch genug, um die schlaue Frage zu stellen: »Wo kommst du denn her?«
»Ursprünglich?«, fragt er. »Oder jetzt gerade?«
Ich schüttele den Kopf. »Du weißt genau, was ich meine. Seit wann bist du aus Washington zurück?«
Er versucht, mich zurück zum Aufzug zu schieben. »Werde ich dir gern ausführlich erzählen. Aber gehen wir doch nach oben. Wir haben uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen, du hast mir gefehlt. Sehr. Willst du sehen, wie sehr?«
Ich habe ihn auch vermisst. Wir waren schon lange nicht mehr zusammen – ich meine, richtig zusammen. Seit ich zum Vampir geworden bin, genauer gesagt. Weil das Bluttrinken und Sex so miteinander verwoben sind, hatte ich zunächst Angst davor, mich mit Max allzu sehr gehenzulassen.
Er weiß natürlich nicht, was ich bin. Kein Mensch weiß das.
Und dann habe ich mich auf diese Geschichte mit Avery eingelassen.
Das ist nicht so gut gelaufen. Aber während dieser Zeit war Max im Auftrag der DEA unterwegs, als Undercoveragent der Drogenbehörde, die ihn als Fahrer bei einem mexikanischen Drogenboss eingeschleust hatte. Der Fall wurde geknackt, und er musste nach Washington, um die Einzelheiten zu klären und alles abzuschließen. Er war zwei Monate lang dort. Jetzt ist er wieder da.
Ich starre in sein herrliches Gesicht, und meine Haut brennt auf einmal vor einem so starken sexuellen Begehren, dass ich beinahe der Versuchung erliege, ihn mit nach oben zu nehmen. Ich glaube zwar, dass ich während dieser Zeit der Trennung gelernt habe, das Blutsaugen vom Sex zu trennen, aber bedauerlicherweise habe ich jetzt keine Zeit, diese Theorie zu überprüfen. Ich muss um acht Uhr an Moms Schule sein, und vorher muss ich noch David auf eine Spur ansetzen.
Widerstrebend löse ich mich aus seinem Griff. »Ich kann nicht. Jetzt nicht. Ich muss ins Büro. Komm doch mit. Ich muss David etwas erzählen, das du auch erfahren solltest. Vielleicht kannst du mir sogar helfen.«
Seine Mundwinkel verziehen sich nach unten. »Toll. Ein Vormittag mit dir und David im Büro. Genau das, was ich mir auf dem weiten Weg von Washington hierher so ausgemalt habe.«
Trotzdem nimmt er meine Hand und folgt mir zu meinem Auto. Ich drücke auf den Knopf für die Zentralverriegelung. Sobald wir eingestiegen und auf dem Weg aus der Tiefgarage sind, fragt er: »Womit soll ich dir denn helfen?«
»Warte, bis wir im Büro sind«, erwidere ich. »Sonst muss ich es David noch mal erklären. Erzähl mir lieber von deinem Fall. Wie läuft’s denn so?«
Er zuckt mit den Schultern. »Alles abgewickelt. Martinez’ Geldwäscheoperation in Mexiko ist Geschichte. Als Nächstes kommt das gute Dutzend Firmen dran, das er auf dieser Seite der Grenze dafür benutzt hat.«
Martinez ist der Boss einer mexikanischen Drogenmafia – der Kerl, für den Max als Fahrer gearbeitet hat. Ich werfe ihm einen Seitenblick zu. »Aber Martinez wurde noch nicht festgenommen, oder?«
Max merkt sofort, was ich eigentlich wissen will. Er hebt die Hand und streicht mir über die Schulter. »Ich bin nicht in Gefahr. Jedenfalls noch nicht. Martinez wäre nicht so verrückt, mir hier nachzustellen, selbst wenn er herausfinden sollte, wer ich bin. Er mag ein gieriger, gewissenloser Dreckskerl sein, aber lebensmüde ist er nicht. Er wird sich eine Weile schön bedeckt
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