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Lockruf des Blutes

Lockruf des Blutes

Titel: Lockruf des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne C. Stein
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gehetzt oder unter Druck. Und als der Leichenwagen der Gerichtsmedizin an mir vorbeifährt und der Streifenpolizist ihn durchwinkt, weiß ich, was los ist.

Kapitel 22
    C arolyn ist tot. Ich weiß nicht, woher ich das weiß, aber ich bin mir dieser Tatsache so gewiss, wie ich meinen eigenen Namen kenne. Sie ist tot, und die Erkenntnis, dass ich eine Spur, vielleicht die einzige Spur zu den Männern, die Trish gefährden, verloren habe, ist so frustrierend, dass ich mit beiden Handflächen auf mein Lenkrad einschlage.
    Der junge Polizist, der mich nicht auf den Parkplatz gelassen hat, beobachtet mich mit unverhohlener Neugier. Er ruft einen der Zivilbullen herüber und deutet auf mich.
    Ich stelle den Motor ab und warte auf den Detective. Ich kenne eine Menge Cops beim San Diego Police Department, aber die meisten gehören zu den Uniformierten, die im Gefängnis arbeiten. Von den Ermittlern, die die Flüchtigen überhaupt erst dorthin bringen, kenne ich kaum einen. Der Kerl, der jetzt auf mich zukommt, ist etwa fünfzig, wuchtig, mit Eulenaugen und einer Knollennase, die sein rundliches Gesicht dominiert. Seine Miene ist neutral und nichtssagend, doch die Fältchen um seine Augen werden ein klein wenig tiefer, als er mich betrachtet, als mache er einen mentalen Schnappschuss von mir.
    »Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?«, fragt er.
    Es gäbe eine Menge möglicher Antworten auf diese Frage. Sie rattern wie eine Diashow durch meinen Kopf. Aber nur eine Antwort könnte mir Informationen beschaffen. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich mit dieser Antwort die Beziehung meiner Familie zu Carolyn ins Rampenlicht rücke. Aber im Augenblick ist Trish am allerwichtigsten, und ich weiß, dass meine Mutter mit meiner Handlungsweise einverstanden wäre.
    »Ich möchte eine Freundin besuchen. Carolyn Delaney.«
    Ich sage das, als hätte ich keine Ahnung, was hier los ist.
    Der Detective jedoch weiß es besser. Der Streifenpolizist, der uns vom Parkplatz aus beobachtet, hat ihm zweifellos von meiner gedankenlosen, frustrierten Geste von gerade eben berichtet. Der Detective öffnet meine Autotür und bedeutet mir auszusteigen. »Würden Sie bitte einen Moment hier herüberkommen?«
    Das ist im Grunde gar keine Frage, und ich gehorche. Er nimmt mich beim Ellbogen und führt mich zum Leichenwagen.
    »Wie gut kannten Sie Mrs. Delaney?«, fragt er.
    »Ganz gut. Detective, was ist denn passiert?«
    Er mustert mich einen Moment lang, und für mich ist offensichtlich, dass er nicht etwa unsicher ist, wie er vorgehen soll, sondern eher, wie er mich einordnen soll. Er braucht nicht lange, um eine Entscheidung zu fällen. »Ich fürchte, ich habe schlimme Neuigkeiten für Sie. Wir haben einen Leichnam in Mrs. Delaneys Wohnung gefunden. Wir vermuten, dass es sich um Ihre Freundin handelt. Wären Sie bereit, sie für uns zu identifizieren?«
    Habe ich eine Wahl? Wenn ich nein sage, schickt er mich sofort weg.
    Ich nicke, und er wartet schweigend neben mir, während wir zusehen, wie der Gerichtsmediziner und seine Männer aus Carolyns Wohnung kommen. Zwei Sanitäter tragen eine Bahre mit dem verhüllten Leichnam die Treppe herunter. Der Detective öffnet die Tür des Leichenwagens und hält die beiden auf, als sie uns erreichen.
    »Sind Sie sicher, dass Sie das wirklich tun möchten?«, fragt er. »Sie ist ziemlich übel zugerichtet.«
    Ich nicke wieder. Nachdem ich so entsetzlich zornig auf Carolyn war, rechne ich nicht damit, dass ich irgendetwas empfinden werde, wenn ich ihre Leiche sehe. Der Gerichtsmediziner zieht die Decke von ihrem Kopf, nur bis zu ihren Schultern.
    Carolyns Gesicht ist aufgeschlitzt, zahllose kleine Schnitte ziehen sich kreuz und quer über ihre Wangen. Brandmale von Zigaretten haben ihre Lippen und Augenlider versengt. Ihre Nase ist zertrümmert.
    Der Schock lässt mich schaudern. Nicht vor Ekel oder Grauen über das, was sie ihr angetan haben, sondern aus Wut, weil ich das tun wollte. Ich wollte das tun.
    Ich blicke zu dem Detective auf, und mein Mund ist so trocken, dass ich nicht sicher bin, ob ich ein Wort herausbringen werde. Ich schlucke schwer und sage: »Das ist Carolyn.«
    Er gibt dem Gerichtsmediziner einen Wink, der daraufhin Carolyns Gesicht wieder bedeckt und den Leichnam in den Wagen lädt. Der Detective und ich treten beiseite und sehen schweigend zu, wie der Leichenwagen davonfährt.
    Erst jetzt widmet er mir seine volle Aufmerksamkeit. »Ich bin Detective Josh Harris«, sagt er. »San Diego Police

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