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Lockruf des Blutes

Lockruf des Blutes

Titel: Lockruf des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne C. Stein
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mich zu den Kartons vor. Wenn Steves Kleider hier irgendwo sind, dann da drin.
    Die ersten zwei, die ich öffne, enthalten Schulkram – alte Jahrbücher, linierte Notizblöcke, Hefter, Zeugnisse mit Klebestreifen am Rand, weil sie mal am Kühlschrank befestigt waren. Ich durchsuche den Stapel und werde ein bisschen traurig. Er hat nie etwas anderes als Einsen bekommen – nie. Als wir noch klein waren, fand ich das sehr nervig. Für mich war eine Eins etwas Besonderes, nicht die Norm. Aber jetzt sind diese Zeugnisse nur ein weiterer Hinweis darauf, was Steve alles Großartiges hätte erreichen können, wenn er nicht gestorben wäre.
    Was Trish erreichen könnte, wenn sie die Chance dazu bekommt. Aber ich denke schon wieder zwei Schritte zu weit voraus. Das Wichtigste zuerst.
    Im dritten Karton finde ich, was ich suche. Er enthält nur eine große braune Papiertüte. Mit zitternden Fingern rolle ich das obere Ende auf und blicke hinein.
    Steves Kleider sind sorgfältig zusammengefaltet. Ich hole ein Hemd heraus, Jeans, Boxershorts, ein Paar Socken. Ganz unten liegen Nike-Turnschuhe mit abgewetzten Schnürsenkeln. An den Schuhen kann ich kein Blut sehen. Jetzt erinnere ich mich: Steve wurde mit solcher Wucht von dem Wagen erfasst, dass er buchstäblich aus den Schuhen geschleudert wurde.
    Meine Finger zittern so heftig, dass ich sie verschränke und einen Moment lang zusammenpresse. Dann falte ich vorsichtig ein Kleidungsstück nach dem anderen auseinander und lege sie einzeln auf die Kartons. Jeans, Hemd, Boxershorts. Kein Blut. Das erscheint mir unmöglich. Wie kann man von einem Auto erfasst werden und nicht jede Menge Blut verlieren? Doch dann höre ich auch diese Worte in mir widerhallen: innere Verletzungen.
    Als Letztes nehme ich mir die Socken vor. Die linke hat ein ausgefranstes Loch, wo ein Stück herausgeschnitten wurde. Ich spüre ein aufgeregtes Kribbeln. Die Polizei muss dieses Stückchen für den Prozess gegen den Fahrer gebraucht haben. Aber dazu ist es dann doch nicht gekommen. Der Fahrer hat ein volles Geständnis abgelegt und dafür einen guten Deal bekommen. Wegen seines jugendlichen Alters bekam er zwei Jahre in einem Jugendknast aufgebrummt, und fünf Jahre Bewährung.
    Was bedeutet, dass er jetzt irgendwo da draußen ein Leben lebt, das er meinem Bruder gestohlen hat.
    Aber wenn ich darüber nachdenke, werde ich nur wieder wütend. Im Moment gibt es wichtigere Dinge, über die ich mich aufregen sollte.
    Die rechte Socke ist in der Mitte gefaltet. Ich brauche sie nicht einmal auseinanderzufalten, um zu finden, was ich suche. Da ist ein Fleck, alt und braun, am Bündchen, und ein weiterer an der Ferse.
    Blut, sogar längst getrocknetes Blut, ruft bei einem Vampir eine instinktive Reaktion hervor. Sie ist unwillkürlich und nicht kontrollierbar. Es ist das Blut meines Bruders, das ich an dieser Socke »spüre«. Trotzdem lässt es mich mit den Zähnen knirschen und löst eine Gier aus, gegen die ich ankämpfen muss. Ich halte mir die Socke vors Gesicht und sauge tief die Luft ein, weil ich gar nicht anders kann. Sie riecht nach Salz und Erde und der Essenz dieses Lebens. Meine Nerven brennen vor Hunger.
    Also tue ich das Einzige, was ich tun kann. Ich warte, bis der Durst nachlässt. Dann, endlich, lege ich Steves Kleider zurück in den Karton und schließe ihn. Die Socke stecke ich in dieselbe braune Tüte, die meine Eltern vor so vielen Jahren mit nach Hause gebracht haben.
    Ich muss damit aufhören, Erinnerungen nachzuhängen, und mich auf das konzentrieren, was vor mir liegt. Das wollte Avery mir begreiflich machen. Und Culebra. Als Vampir werde ich ewig dieselbe bleiben. Meine menschliche Familie aber nicht. Irgendwann, wenn allzu offensichtlich wird, dass ich nicht altere, werde ich sie verlassen müssen. Dann werden meine Eltern erneut gezwungen sein, den Verlust eines Kindes zu ertragen.
    Diesmal werden sie mich verlieren.
    Trish muss Steves Kind sein.

Kapitel 24
    I ch rufe Marty wieder an. Sie beschreibt mir den Weg zum Labor. Ich nehme den Zahn trotzdem mit, weil ich nicht noch eine Nachricht an Mom schreiben will, um ihr zu erklären, warum ich ihn dalasse. Ich habe alles, was wir brauchen, um den Gentest machen zu lassen, und das Ergebnis ist schließlich alles, was zählt.
    Das Labor liegt in einem medizinischen Komplex an der 4th Avenue in Pill Hill. Die University of California hat hier ihr Krankenhaus, ein ziemlich großes, und ich brauche eine ganze Weile, um einen Parkplatz zu

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