Lockruf des Blutes
anhalten lässt. Ich fahre in südlicher Richtung auf der Sixth, nähe Ash. Hast du einen Streifenwagen in der Nähe?«
»Was soll der tun?«
»Sie identifizieren. Herausfinden, wer die Kerle sind.«
Gedämpft höre ich Williams einen Befehl bellen. Dann ist er wieder dran. »Der Streifenwagen wird sie in etwa zwei Minuten abfangen, also erzähl mir schnell den Rest. Hat das etwas mit Carolyn Delaneys Tod zu tun? Ich habe den Bericht schon gelesen. Du warst am Tatort.«
Das ging ja schnell mit dem Bericht. Ich erzähle ihm, was heute Morgen passiert ist – das meiste jedenfalls. Und ich muss es ihm tatsächlich sagen , diesmal ohne Telepathie. Gedankenübertragung funktioniert nicht über Telefonleitungen, weil der elektrische Strom sie stört. Dieses eine Mal empfinde ich es als sehr lästig, die Worte aussprechen zu müssen, weil es viel zu lange dauert.
Als ich zu dem Punkt komme, warum ich bei Carolyn war – Trishs mögliche Beziehung zu meiner Familie – unterbricht er mich und schreit mir ins Ohr: »Du wusstest heute Morgen schon, dass es eine Verbindung zwischen dem Mord an der kleinen Franco und Trish Delaneys Verschwinden geben könnte, und du hast nichts gesagt?«
»Nein«, entgegne ich spitz. »Ich wusste noch nicht sicher, dass es da eine Verbindung gibt. Carolyns Mutter hat bei ihrer Geschichte einige Punkte ausgelassen. Und sie hat uns, meine Mutter und mich, ausdrücklich gebeten, nichts zu sagen.«
Diesmal klingt seine Stimme eher ungläubig als ärgerlich. »Deine Mutter wusste es auch? Ist ihr denn nicht klar, dass sie ihre Karriere aufs Spiel setzt, wenn sie der Polizei solche Informationen vorenthält?«
»Was für Informationen?« Allmählich bekomme ich das Gefühl, dass es ein Fehler war, ihn anzurufen. »Wir wussten ja noch nichts mit Sicherheit. Und Trish zu finden war unsere allererste Sorge. Wie hätten wir denn vorhersehen können, dass jemand ihre Mutter umbringen würde?«
Williams Tonfall wird weicher. »Gibt es da sonst noch etwas, was ich wissen sollte?« Das klingt allerdings nicht beruhigend weich, sondern eher gefährlich sanft.
Trotzdem lasse ich Trish und Frey unter den Tisch fallen, als ich ihm den Rest erzähle. Als Williams fragt, ob ich wüsste, wo Trish ist, lüge ich und sage nein. Ich lasse ihn in dem Glauben, ich sei direkt zu Carolyn gefahren, um ihr weitere Fragen zu stellen.
Williams ist verdächtig still, als ich meine Geschichte beendet habe. Schließlich sagt er: »Anna, wenn du Beweise dafür hast, dass diese Kerle etwas mit Carolyns Tod zu tun haben, dann musst du es mir sagen. Wir können sie auf der Stelle festnehmen.«
»Glaub mir, wenn ich Beweise dafür hätte, würde ich es dir sagen«, erwidere ich. Und das ist die Wahrheit, schon allein deshalb, weil ich meine Eltern beschützen muss. »Wenn diese Typen Carolyn ermordet haben, wird dein Mann im Streifenwagen das merken, sobald er sie anhält. Carolyn hat viel Blut verloren. Sie wurde geschlagen und gefoltert, das bedeutet Blutspritzer. Sie hätten unmöglich verhindern können, dass Blut auf ihre Haut oder ihre Kleidung gelangt.«
Williams lacht bellend. »Dann habe ich ja den richtigen Wagen auf sie angesetzt.«
Ich weiß sofort, was er meint. »In dem Streifenwagen sitzt ein Vampir-Cop?«
»Ja. Selbst wenn diese Kerle Regenmäntel und Gummistiefel getragen hätten – sollte auch nur ein Tropfen Blut mit ihnen in Berührung gekommen sein, wird Officer Ortiz das nicht entgehen.«
Das Aufblitzen von Blaulicht in meinem Rückspiegel erregt meine Aufmerksamkeit. »Es geht los«, sage ich zu Williams. »Der Streifenwagen zieht sie gerade aus dem Verkehr.«
»Soll ich dich auf dem Handy anrufen, wenn wir wissen, wer diese Kerle sind?«, entgegnet er.
Ich denke darüber nach. Aber ich kann hier nirgends anhalten, ohne dass sie mich von weitem bemerken würden. Sie sollen nicht dahinterkommen, dass ich es war, der ihnen die Polizei auf den Hals gehetzt hat.
»Nein. Ruf mich im Büro an. Ich fahre jetzt dorthin.«
Williams legt auf, und ich biege auf die Ash ein, dann wieder auf den Pacific Coast Highway und fahre zum Büro. Davids Parkplatz ist leer, eine Erleichterung. Vermutlich macht er irgendwo mit Gloria Mittagspause. Zumindest bin ich sie dann los. Als ich die Tür aufschließe, klingelt schon das Telefon. Ich reiße es hoch.
»Anna?« Es ist Williams.
»Was habt ihr herausgefunden?«
Einen Moment lang herrscht Stille, dann sagt er: »Schaff deinen Hintern sofort hier
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