Lockruf Des Mondes
und musste sich nun anderen, wichtigeren Aufgaben zuwenden.
Aber Emily sprang auf und griff nach seinem Arm. »Bitte lass mich nicht wieder ohne eine Beschäftigung allein hier oben!«
»Womit sollte ich dich denn deiner Meinung nach beschäftigen?«, fragte er aus reiner Neugierde.
»Bei den Sinclairs habe ich Cait geholfen, die Haushaltsführung zu beaufsichtigen. So war es auch in meinem Elternhaus, wo ich meine Stiefmutter entlastet habe, und viele Aufgaben habe ich sogar selbst erledigt. Ich bin es gewöhnt zu arbeiten.«
»Ich habe eine Haushälterin und Dienstmädchen, die ihr zur Seite stehen.«
Emily machte ein langes Gesicht und nahm die Hand von seinem Arm. »Na schön. Dann werde ich dich mit meinen unwichtigen Problemen nicht länger aufhalten.«
»Sie sind nicht unwichtig«, widersprach er, obwohl er genau das Sekunden vorher noch gedacht hatte. »Ich weiß nur nicht, was für eine Lösung du für sie von mir erwartest. Ich werde dich nicht wie eine Bedienstete behandeln lassen, und um deine Freundin zu sehen, musst du warten, bis sie und Drustan aus ihren Zimmern kommen.«
Was nicht bedeutete, dass Lachlan sich gar nichts vorstellen konnte, womit sich Emily die Zeit vertreiben könnte. Das fiele ihm nur allzu leicht. Aber das, woran er dachte, hatte nichts mit Arbeit zu tun, sondern nur damit, sie in sein Schlafzimmer und in sein Bett zu bekommen. Und an einer solchen Lösung würde sie wohl kaum interessiert sein.
»Dann bring mich wenigstens in einem Zimmer unter, das kein Gefängnis ist.«
»Du hast gesagt, es wäre dir lieber, von meinen Leuten ferngehalten zu werden.« Sie war sehr entschieden gewesen in diesem Punkt.
»Gestern war ich vollkommen überreizt und konnte keinen klaren Gedanken fassen, als ich vor dir weggelaufen bin.«
»Warum?«
Sie sah ihn an, als könnte sie nicht glauben, dass er das erst fragen musste. »Ich war entführt worden, und dann musste ich entdecken, dass meine einzige Freundin in den Highlands zu einer Heirat gezwungen werden sollte, um an ihrem Bruder Vergeltung zu üben. Und dann hast du mich in diese Nussschale von Boot gesetzt, um dieses furchtbar tiefe Wasser zu überqueren, während dein Bruder mich fortwährend so finster anschaute, als wäre ich sein ärgster Feind. Als ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, sind meine Nerven mit mir durchgegangen.«
»Du hattest also Angst vor dem Wasser?«, sagte Lachlan und fragte sich, ob sie ihm eine ehrliche Antwort darauf geben würde.
Die Ängste eines Gegners zu kennen, machte ihn verwundbar, und sie wusste nicht, dass er die ihren bereits kannte. Er war schockiert gewesen, als er sie und Cait darüber sprechen gehört hatte. Lachlan hatte Emilys Furcht auf dem Boot nicht gerochen, und das hätte er eigentlich tun müssen, weil Menschen nicht darauf trainiert waren, ihren Duft vor anderen zu verbergen.
»Ja.«
»Warum?«
»Weil ich nicht ertrinken will.«
»Das ist verständlich, erklärt jedoch nicht, warum du besorgt warst, obwohl du dich auf einem seetüchtigen Boot befandest.«
»Das Boot hätte kentern können. Oder eine Welle hätte über den Bug schlagen und mich ins Wasser reißen können.«
»Dann hätte ich dich herausgezogen.«
Sie starrte ihn an, und ein undefinierbarer Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. Schließlich seufzte sie. »Ich erwarte nicht, dass du das verstehst, aber ich mag kein Wasser, und das Meer beängstigt mich erst recht.«
»Warum?«
Sie wandte den Blick ab und setzte eine für sie ganz ungewöhnliche ausdruckslose Miene auf. »Das spielt keine Rolle.«
»Das werde ich selbst beurteilen. Sag es mir.«
»Du bist sogar noch penetranter als mein Vater.«
»Hat er dir die Furcht vor Wasser eingeflößt, aus Angst, dass du ertrinken könntest?« Das war leider keine ungewöhnliche Vorgehensweise, wenn auch Lachlans Ansicht nach eine sehr dumme. Es war besser, Kindern das Schwimmen beizubringen, als sie Furcht zu lehren.
Emily antwortete nicht und rührte sich auch nicht. Aber ihre Bewegungslosigkeit hatte etwas, das Lachlan störte, weil sie so absolut war, dass Emily fast nicht atmete.
»Emily?«
Da sah sie ihn endlich wieder an, und ihre veilchenfarbenen Augen waren von einer Qual erfüllt, die Lachlan nicht ertragen konnte.
Ohne sich seine nächsten Schritte zu überlegen, setzte er sich zur ihr aufs Bett und zog sie auf seinen Schoß. Ein Maßstab für ihren inneren Aufruhr war, dass sie sich nicht wehrte, sondern sich an ihn schmiegte,
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