Lockruf des Verlangens (German Edition)
staubfeine Asche durch die Luft.
»Nun weißt du es.«
Hawke knirschte mit den Zähnen, als er Sienna schwanken sah. »Das war das Dümmste, was du tun konntest.« Er legte sie sich über die Schulter.
»Lass mich runter«, protestierte sie schwach, dann verlor sie das Bewusstsein.
Sorge zerriss ihn, doch noch spürte er ihren Herzschlag, fühlte ihren Atem. Darauf konzentrierte er sich, schnallte sie auf dem Beifahrersitz an und zog das Telefon heraus. »Sienna ist bewusstlos«, sagte er, als Judd sich meldete.
Der Mediale brauchte einen Augenblick. »Alles in Ordnung. Ihrem Geist geht es gut.«
Die Erleichterung traf Hawke wie ein Keulenschlag. »Ich werde ihr das Fell über die Ohren ziehen, wenn sie wieder aufwacht.« Hawke schlug die Beifahrertür zu, setzte sich ans Steuer, steckte das Telefon in die Freisprecheinrichtung und fuhr los.
»Es hat wahrscheinlich ihren Geist überlastet«, sagte Judd, nachdem ihm Hawke alles erzählt hatte.
Der Leitwolf runzelte die Stirn. »Dann gibt es doch einen Sicherheitsschalter.« Er hatte geglaubt, Sienna müsse sich die ganze Zeit kontrollieren, weil sie so etwas eben nicht hatte.
Judd schwieg so lange, dass Hawkes Blut zu Eiswasser wurde. »Was verschweigst du mir?«
»Wir müssen uns unterhalten, wenn ihr wieder zurück seid.«
Wenn es um Siennas Wohlergehen ging, besaß Hawke keinen Funken Geduld, doch er wusste, was der Offizier damit sagen wollte. »Wir sind gleich da.«
Judd traf sie auf der Krankenstation, wo Lara Sienna mit einem hochentwickelten Scanner durchleuchtete und keinen Schaden feststellte. Erst dann bat Hawke Judd mit einem Nicken auf den Flur hinaus. »Also?«
»Die Abstände verringern sich exponential«, sagte Judd und lud eine Grafik auf den Datenpad, den er aus der Tasche gezogen hatte. »Nachdem Sienna bestätigt hatte, dass sie ihr Feuer immer öfter ableiten muss, habe ich zusammen mit Walker versucht herauszufinden, ob es einen Zusammenhang mit bestimmten Zeiten oder Ereignissen gibt. Erst kurz vor der Mission in Südamerika ist mir klar geworden, dass wir uns an Toby wenden mussten – sie lässt niemanden näher an sich heran als ihn.«
Weiße Linien zogen sich um den Mund des ehemaligen Pfeilgardisten. »Er wusste weit vor uns Bescheid. Hat in seinem Tagebuch notiert, wann sie ein kritisches Stadium erreicht hatte. Da es keine Vorfälle gegeben hatte, musste sie die Energie abgeleitet haben.« Judd drehte den Datenpad so, dass Hawke daraufschauen konnte.
Das Muster war nicht zu übersehen. Das erste Mal war es fast ein Jahr nach ihrer Ankunft in der Höhle gewesen. Dann nach acht Monaten, dann nach weiteren sechs. Die letzen Male lagen nur wenige Wochen auseinander. Hawkes Wolf meldete sich, half dem Mann in ihm, zielorientiert zu denken. »Kann es aufgehalten werden?«
»Nein.« Absolut gewiss. »Denn gerade das macht sie zu einer X-Medialen.«
»Silentium.« Hawke musste sich zwingen, die Möglichkeit überhaupt in Erwägung zu ziehen. »Das Programm hat ihr einen Halt gegeben?«
»Nur bis zu einem gewissen Grad. Den Aufzeichnungen zufolge ist sie die einzige kardinale X-Mediale, die je geboren wurde. Selbst Ming hat eine Art russisches Roulette gespielt. Niemand wusste, was passieren würde, wenn ihre Fähigkeiten ausgereift waren.«
»Weiß sie es?«
»Ich glaube, sie will es gar nicht wissen.« Das goldgefleckte Braun in Judds Augen war fast schwarz, ein seltenes Zeichen starker Gefühle. »Sie kann nur überleben, solange sie glaubt, sie könne das Unvermeidbare verhindern.«
»Dann lassen wir es dabei.« Er hatte sehen können, wie Sienna von Tag zu Tag mehr sie selbst wurde. Er würde den Teufel tun und ihr Knüppel zwischen die Beine werfen. »Du bist dir sicher, dass man es nicht aufhalten kann, aber könnte man den Verlauf vielleicht verlangsamen?«
Judd fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich bin auf der Suche nach dem Manuskript, von dem ich dir schon erzählt habe.«
»Die Arbeit über X-Mediale?«
Judd nickte. »Bislang habe ich noch keinen Beweis für seine Existenz gefunden, aber ich warte noch auf eine letzte Rückmeldung.«
Hawkes Wolf erfasste sofort die kleine Veränderung in Judds Gesichtsausdruck. »Das Gespenst. Du vertraust ihm nicht.«
»Hierbei nicht. Sienna ist eine Waffe mit unendlichem Potenzial.«
Und das Wort Frieden stand nicht gerade auf der Tagesordnung des Gespensts.
Acht Stunden später, als die Morgensonne gerade die Bergspitzen in weißgoldenes Licht tauchte, stand Hawke
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