Lockruf des Verlangens (German Edition)
beiden so von ihren Aufgaben in Anspruch genommen waren, dass sie wahrscheinlich noch nicht einmal Zeit dafür gefunden hatten, miteinander ins Bett zu steigen … aber es würde nicht mehr lange dauern. Vielleicht war es heute Abend schon so weit.
Eine dunkle Kraft brannte in ihrem Körper, sammelte sich in ihren Fingerspitzen.
Wenn sie nur einen Moment die Kontrolle verlor, würde sie die Wände zerstören und die Decke herunterreißen. Sie biss die Zähne zusammen, kämpfte gegen den übermächtigen Zorn an, der sie zu einer X-Medialen machte, der ihr zuflüsterte, solche Frauen wie Rosalie seien ein Nichts, würden zu Staub werden dank der tödlichen Kraft, die Sienna einst so wertvoll für Ming gemacht hatte. Dieser schreckliche Gedanke brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück.
Dazu der Schmerz.
So brutal, dass sie beinahe nichts mehr sehen konnte.
Sie wusste immer noch, wie es gewesen war, welcher Schrecken Judd und sie selbst in der telepathischen Verbindung erfasst hatte, als sie entdeckt hatten, dass es noch eine weitere Ebene der Dissonanz gab. Aber diese verborgene Klinge des blanken Schmerzes war Sienna sinnvoll erschienen – sie war nicht an Gefühle geknüpft und hatte auch nichts mit Silentium zu tun, war allerdings im Zuge des Programms entwickelt worden. Die Dissonanz meldete sich nur, wenn ihre Fähigkeiten unbewusst angesprochen wurden, gab sozusagen Alarm, wenn die X-Anlage in ihr kurz davorstand, aktiv zu werden.
Der Schmerz, der ihr die Wirbelsäule hochschoss, ließ sie fast ohnmächtig werden, vor ihren Augen tanzten weiße Flecken. Sie ritt auf Messers Schneide, die Dissonanz krallte sich in ihr fest, bis sie schwankend wieder in ihrem Zimmer in den Familiequartieren angekommen war … in dem Raum, in dem Tobys Zeichnungen und Marlees Aquarelle hingen.
Ihr war übel, Galle stieg in ihrer Kehle auf. Immer noch zitternd warf sie ihre Kleider und persönlichen Habseligkeiten in eine Tasche – sie hatte nach wie vor Vertrauen in ihre Fähigkeit, ihre »Gabe« zu kontrollieren, doch sie war eine X-Mediale, und Fehler ließen sich nicht immer vermeiden.
Walker saß am Esstisch und trug etwas auf seinem Datenpad ein. »Gehst du fort?« Der kühle grüne Blick hielt sie fest.
»Ich werde ganz in mein Zimmer bei den Soldaten ziehen.« Ihre Finger umklammerten den Taschengriff. »Morgen rede ich mit Toby und Marlee, erkläre ihnen alles.« Es tat weh, diese Worte auszusprechen, ein Kloß saß in ihrer Kehle fest.
Walker stand auf. »Es wird ihnen nichts ausmachen. Sie wissen, welche Stellung du im Rudel hast.« Er stellte keine Fragen, sie fühlte sich trotzdem verpflichtet, ihm Rede und Antwort zu stehen. So war das eben mit Walker – er war nicht ihr Vater und hatte nie versucht, diese Rolle einzunehmen, dennoch war er der Patriarch der Laurens.
»Meine Gefühlslage ist so labil, dass meine Selbstbeherrschung davon beeinflusst wird«, gab sie zu, kalter Schweiß lief ihr den Rücken hinunter. »Falls mein Schild bricht, möchte ich nicht in ihrer Nähe sein, um sie nicht zu verletzen.«
»Musst du zu den Leoparden?«
»Nein.« Die räumliche Entfernung würde nicht ausreichen – denn sie dachte sowieso die ganze Zeit nur an Hawke. Zumindest würde sie es in der Höhle sofort erfahren, wenn er mit Rosalie im Bett gelandet war, und musste dann nicht mehr Tag für Tag darauf warten, dass sich ihre Vermutung bestätigte. »Ich werde mich selbst darum kümmern.«
»Sienna«, sagte Walker, als sie schon fast an der Tür war. »Du weißt, dass du nicht allein bist. Vergiss das nie.«
Sie nickte, doch als sie durch die Flure der Höhle zu den Quartieren der ungebundenen Soldaten ging, war ihr nur zu klar, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Niemand aus ihrer Familie würde je verstehen, wie allein sie war.
Sienna Lauren.
X-Mediale.
Rang auf der Skala: kardinal.
Den Protokollen im Medialnet nach war sie die einzige kardinale X-Mediale, die je das Erwachsenenalter erreicht hatte. Vielleicht war noch nie jemand dieser Kategorie geboren worden. Denn die Mutation war sehr selten – man hatte sie erst mit fünf richtig klassifiziert.
An jenem Tag hatte sie ihre Mutter fast
Weitere Kostenlose Bücher