Lockruf des Verlangens (German Edition)
meiner Familie trennen, doch meine Mutter ließ das nicht zu, sie hatte seit meiner Geburt unbewusst meine Anlagen unterdrückt.«
Sein Gesicht zeigte nur Interesse, aber keinerlei Wertung. »Ist das normal?«
»Irgendwie schon. Medialenkinder wissen häufig nicht, was sie mit ihren Fähigkeiten anstellen können, deshalb wachen die Eltern geistig über sie.«
»So wie Gestaltwandlereltern darauf achten, dass sich die Jungen nicht aus Versehen gegenseitig mit den Klauen verletzen.«
Sein Versuch, etwas Gemeinsames zwischen ihnen zu finden, ließ die Eiseskälte in ihr tauen. »Genau. Doch meine Mutter war eine kardinale Telepathin mit sehr großen Kräften – sie hat gar nicht bemerkt, wie schwer es war, mich im Zaum zu halten. Wenn sie schwächer gewesen wäre … « Sienna schüttelte den Kopf, und die Kälte breitete sich erneut bis in ihre Knochen aus. »Dann hätte ich schon viel früher entweder mich selbst oder ein anderes Kind getötet.«
Hawke spürte den tiefen Schmerz hinter den ruhigen Worten. Eine Fünfjährige. So jung war sie in Mings Obhut gelangt. »Und deine Mutter ist mit dir mitgegangen?«
Sienna nickte. »Damals wusste ich noch nicht, dass meine Mutter anders war. Die meisten Frauen hätten sich von der Verantwortung befreit und mich Ming überlassen, aber selbst nachdem Ming so weit war, die Kontrolle zu übernehmen, hat sie sich geweigert, ihre Rechte als Mutter aufzugeben.« Stolz flammte auf und wütende Zärtlichkeit.
»Aber das spielte keine Rolle«, fuhr Sienna fort, »sie konnte mich keine Selbstkontrolle lehren. Meine Mutter war Kommunikationsspezialistin, besaß nicht Mings Gaben im Kampf. Nach vier Monaten war ich in Sicherheit, er hatte mich hinter seinen eigenen telepathischen Schilden. Dann begann die Ausbildung. Es war sehr hart.«
Welch schlichte Worte. Welch schreckliche Worte. »Ich hasse ihn dafür, was er dir angetan hat.« Denn diese Sicherheit war für das verängstigte Kind sicher wie ein Gefängnis gewesen. »Doch mit seiner Hilfe konntest du überleben.«
»Nein«, widersprach ihm Sienna. »Er hat mir nur geholfen, in Silentium hineinzufinden. Die meisten Medialen schließen das Programm mit sechzehn ab. Ich war schon mit neun vollkommen gefühllos. Vielleicht wollte meine Mutter deshalb noch ein Kind bekommen – denn sobald Ming unser Haus betreten hatte, war ihr klar, dass sie mich verloren hatte. «
Doch Sienna hatte ihre Seele bewahrt. Konnte ihren Bruder Toby wie eine Wölfin lieben, die Loyalität zu ihrer Familie so weit erhalten, dass sie mit ihnen abtrünnig wurde, um das Leben der Kinder zu retten. Was für eine unglaubliche Willenskraft musste dieses Kind gehabt haben, dass es diesen Teil vor dem Ratsherrn verbergen konnte.
Gerade wollte er ihr sagen, wie stolz er auf sie war und dass sie keinen Grund hatte, sich zu schämen, als er ein leises Geräusch vernahm. »Ich glaube, Simran ist wach.«
Sienna rutschte von seinem Schoß. Besorgtheit vertrieb die dunklen Schatten auf ihren Zügen, den die Schilderung ihrer unkindlichen Kindheit hervorgerufen hatte. »Soll ich Lara holen?«
»Nein, ich werde selbst gehen. Aber du könntest nach den anderen sehen.«
Als er in Simrans Zimmer trat, lächelte die Verletzte schon schwach. Neben ihr saß eine schlaksige Soldatin, die so flink laufen konnte, dass er sie häufig als Botin quer durch das Territorium schickte. »Wann bist du zurückgekommen, Inés?«, fragte er und strich ihr über die Wange.
»Vor zehn Minuten.« Zitternd lehnte sie sich an ihn. »Simran will mir nicht sagen, wie schwer ihre Verletzung ist.«
»Nicht nötig«, sagte Simran leise.
»Schsch.« Inés nahm eine Wasserflasche vom Nachttisch. »Ich rede mit dem Leitwolf, wenn du nichts dagegen hast.« Den Worten nach eine Zurechtweisung, doch in liebevollem Ton vorgebracht; sie steckte einen Strohhalm in die Wasserflasche und ließ die Verwundete trinken.
Als Inés die Flasche wieder abstellte, küsste Hawke sie auf die Schläfe. »Es war schlimm«, sagte er und achtete nicht auf Simrans finsteren Blick. »Aber ich habe sie nicht gehen lassen.«
»Zum Glück bist du so ein sturer Hund.« Inés drückte ihn kräftig mit ihren dünnen Armen, dann strich sie Simran zärtlich das Haar aus dem Gesicht.
Riordan schlief noch fest, aber Elias hatte das Bewusstsein wiedererlangt; er strich Yuki über den Kopf, den sie erschöpft auf seine unverletzte Schulter gelegt hatte. Dem Himmel sei Dank. Lara würde ihm sicher verzeihen, dass er ihr
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