Lockruf des Verlangens (German Edition)
aus?«, fragte Brenna aufgeregt neben ihr.
»Winzig, mit zugekniffenen Augen.«
»So sah Marlee auch aus«, sagte Walker, nachdem sich das Gelächter gelegt hatte. »Sie hat geschrien, als hätte man ihr das Lieblingsspielzeug weggenommen – auf beiden Ebenen.«
Judd sah seinen Bruder an. »Sie war wirklich sehr laut.«
Sienna hatte nicht gewusst, dass ihre beiden Onkel bei Marlees Geburt zugegen gewesen waren. Noch bevor sie nachfragen konnte, legte Brenna Judd die Hand auf den Oberschenkel. »Wie läuft denn eine Geburt im Medialnet ab, Schnuckelchen?« Das Kosewort war wohl ein privater Scherz zwischen den beiden, denn Judd legte seiner Gefährtin einen Finger auf die Lippen und sagte: »Halte dich an die Regeln.«
Walker, der links von Sienna saß, beantwortete die Frage. »Ein starker Telepath versetzt die Mutter in einen beinahe bewusstlosen Zustand, während er oder sie den Geist des Kindes während der Geburt kontrolliert.«
Ein langes Schweigen trat ein.
Sienna hatte davon nichts gewusst. »Schadet das dem Kind nicht?«
Walker schüttelte den Kopf. »Das haben die Unseren schon vor Silentium getan – wir Telepathen sind geübt darin, mit dem sich entwickelnden Bewusstsein umzugehen. Wir mussten uns irgendetwas überlegen, da die Frauen während der Geburt auf keiner Ebene den Schmerz unterdrücken können.«
Sienna glaubte ihm sofort, dass der Geburtsprozess auf diese Art dem Fötus keinen Schaden zufügte – den Medialen war ein funktionierender Verstand viel zu wichtig, um ein Risiko einzugehen. »Ich habe von Tammy erfahren, dass Sascha das Kind überreden musste, herauszukommen. Würde eine solche Art der Verbindung nicht den Schmerz wert sein?« In diesem Augenblick fing sie Hawkes Blick auf, erhaschte ein dunkles, namenloses Gefühl im Wolfsblau.
Sie wusste sofort, dass er an seine Gefährtin dachte, an die Kinder, die sie nie zusammen haben würden. Doch zum ersten Mal wandte sie sich nicht ab, beugte sich nicht der Erinnerung – sie hatte gut zugehört, hatte viel gelernt und wusste inzwischen, dass Gestaltwandler, die in langfristigen Beziehungen lebten, auch Kinder haben konnten, wenngleich nicht so leicht wie im Bund mit den ihnen bestimmten Gefährten.
Hawke kniff die Augen zusammen, als er die Herausforderung spürte. Später, als alle anderen gegangen waren, zog er sie zu sich heran. »Bist du sicher, dass du es mit dem Wolf aufnehmen willst, Baby?«, flüsterte er.
Ihr Magen schlug Volten, aber sie war bereit. »Und du, kannst du es denn mit einer X-Medialen aufnehmen, Wolf?«
26
Vier Stunden später begutachtete Tatiana Rika-Smythe aus ihrer Festung in Australien die Reste ihrer Marmorstatur. Der Wert der Skulptur war unerheblich – die Kosten waren auch nicht besonders hoch gewesen. Aber die Zerstörung war eine Botschaft und hatte sie ins Mark getroffen. Sie gab Henrys Nummer in die Kommunikationskonsole ein.
In London kam sie nicht durch, deshalb suchte sie ihn im Medialnet. »Du – «, sagte sie, als er sich auf ihre psychische Begrüßung hin meldete.
»Ich kann im Augenblick nicht mit dir sprechen, Tatiana«, unterbrach er sie ohne jede Höflichkeit und verschwand wieder.
Tatiana war es nicht gewohnt, so brüsk abgewiesen zu werden, aber sie war auch nicht dumm. Sie verließ das Medialnet und lud die Informationen aus dem Spionagesatelliten hoch, mit dem sie sich Informationen über Henry beschaffte. Nachdem sie vor einiger Zeit seinen Handlungen entnommen hatte, dass er inzwischen die treibende Kraft in der Partnerschaft der Scotts war, hatte sie sofort seine Überwachung verstärkt.
Zwei Sekunden später hatte sie die Bilder. Henrys Londoner Residenz fiel in sich zusammen. Zwar langsam genug, um alle Beschäftigten evakuieren zu können, doch zu retten war das Gebäude nicht mehr. Der Sprengstoff war genau an der richtigen Stelle angebracht worden – was die Frage aufwarf, wie jemand Henrys Sicherheitsleute umgehen konnte, um so nah an das Gebäude heranzukommen.
Nun war Tatiana überzeugt davon, dass es auch einen dritten Anschlag geben musste. Sie wechselte den Kanal und suchte in den Nachrichten. Nur Sekunden später hatte sie es gefunden. Die Glasfassade von Shoshannas neuem Bürogebäude zersplitterte auf aufsehenerregende Weise, in weniger als einer Minute glitzerte nur noch das Stahlskelett unter der erbarmungslosen Sonne.
Das alles ließ nur einen Schluss zu: Die Scotts hatten die Gestaltwandler wieder einmal unterschätzt. Wie schon so oft.
Tatiana
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