Lockvögel
ihm, unerkannt zu entkommen. Aber sein Wagen war beschädigt, und so mußte er etwas Unternehmen. Er kannte Vivian Deshler. Ich vermute, sie war ihrerseits in einen harmlosen Unfall verwickelt gewesen, entweder sie selbst oder jemand, den sie gut kannte. Sie wußte, daß kein Arzt in der Lage wäre, nachträglich eine genaue Diagnose der Verletzungen zu teilen.
Daher kam Holgate zu ihr, als er nüchtern genug war, um überdie Lage nachzudenken. Das war so gegen Mitternacht, und er wird etwa folgendes zu ihr gesagt haben: >Liebe Vivian, ich sitze ziemlich in der Tinte. Das beste ist, ich fahre langsam auf deinen Wagen von hinten auf. Dann machen wir Zeit und Ort aus, wo das passiert ist; am besten am späten Nachmittag, bevor ich meinen ersten Cocktail trank. Du kannst dann eine Schadensersatzforderung stellen und mich verklagen. Ich werde so tun, als ob ich dich nicht kenne, werde aber beschämt zugeben, daß ich an allem schuld sei. Die Versicherungsgesellschaft muß dann zahlen. Ich selbst bin aus meiner Klemme, in der ich wegen der Fahrerflucht stecke, während du von der Versicherung ein schönes Stück Geld kassieren kannst und —<«
Lamont Hawley schnippte mit den Fingern.
»Fällt der Groschen?« fragte Sellers.
»Verdammt noch mal, ja. Der Groschen ist gefallen«, sagte Hawley. »Jetzt beginne ich etwas klarer zu sehen. Wahrhaftig, der Bursche hat recht, verflucht noch mal.«
»Bitte nicht fluchen«, sagte Sellers grinsend. »Wir haben eine Dame dabei.«
»Sie haben wirklich mal recht, es sind Damen anwesend«, mischte Bertha sich ein. »Und jetzt sollten wir doch noch etwas mehr hinter die Kulissen schauen. Was wissen Sie noch über diese Angelegenheit, Hawley?«
»Wir wissen noch nichts Genaues, aber allmählich beginnen die Dinge sich zusammenzufügen. Wir haben die routinemäßigen Nachforschungen eingeleitet und versucht, Zeugen des Unfalls aufzutreiben. Das ist uns aber nicht gelungen. Andererseits war die Geschichte, die Holgate uns auftischte, so einfach und klar, daß wir der ganzen Angelegenheit zunächst nicht viel Aufmerksamkeit schenkten. Wir wurden erst daran interessiert, als wir erfuhren, auf welche Weise Vivian Deshler ihre Ansprüche definierte. Ihre Forderungen müssen von einem ganz gewitzten Anwalt formuliert worden sein, von jemandem, der mit allen Wassern gewaschen ist.«
Ich sagte zu Bertha Cool: »Laß doch bitte mal Elsie herkommen.«
Bertha rief mein Büro an, und Elsie kam sofort ins Zimmer.
»Wie steht es mit Ihrem Archiv über ungelöste Fälle, Elsie?« fragte ich. »Haben wir etwas über Fahrerflucht in den letzten zwei bis drei Monaten?«
»Eine ganze Menge«, antwortete sie. »Die finden Sie in Band G unter Nummer 200. Wollen Sie sie sehen?«
»Ja, bitte, machen Sie schnell.«
Sie sah mich einen Augenblick an, ging dann zur Tür, drehte sich um, warf mir über die Schulter noch einen aufmunternden Blick zu und verschwand.
»Haben Sie hier etwa ein Kriminalarchiv aufgebaut?« fragte Sellers.
»So etwas Ähnliches.«
»Er wendet verdammt viel Zeit für das Zeug auf«, bestätigte Bertha. »Genauer gesagt, tut es seine Sekretärin.«
»Das begreife ich nicht«, entgegnete Sellers. »Wollen Sie etwa dem Archiv des Polizeipräsidiums Konkurrenz machen?«
Ich blieb ihm die Antwort schuldig.
Sellers kaute wieder an seiner Zigarre und sagte: »Natürlich kann das nur ein Köder von Ihnen sein. Jedesmal, wenn wir Sie bei einer krummen Sache erwischen, richten Sie es so ein, daß Sie den Fall mit einer Angelegenheit vermischen, die für die Polizei interessant und noch nicht gelöst ist. Wir lassen Ihnen dann genug Spielraum, weil wir hoffen, daß dabei auch etwas für uns herausspringt. Wenn ich mir das so richtig überlege, haben Sie mit dem Trick schon oft genug gearbeitet.«
Sellers verengte die Augen zu Schlitzen. »Wissen Sie, Lam, das ist es gerade, was uns so viel Ärger mit Ihnen macht. Sie sind ein Däumling, und da ist es verdammt leicht, Sie zu unterschätzen.«
Elsie Brand erschien mit vor Eifer geröteten Wangen, den Band unter dem Arm.
»Hier ist es, Mr. Lam«, sagte sie und beugte sich über mich. Ich spürte ihren Atem an meiner Wange. »Gibt es einen Fall von Fahrerflucht am 13. August?«
»Ja, ja, hier. Sehen Sie.«
Ich sah mir den Zeitungsausschnitt an und schob ihn dann Inspektor Sellers hinüber. »Da haben wir es, Inspektor«, sagte ich. »Auf der Fernverkehrsstraße von Colinda nach Los Angeles streifte ein wie wild kurvender Wagen einen
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