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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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einem Löwen und einem verschnörkelten »R« zu sehen.
    »Da gibt’s heiße Maronen!«, sagte George erfreut. »Wollt ihr auch welche?«
    Jungen und Mädchen in dunkelroten Jacken verteilten Lavendelzweige, Salzbomben und Süßigkeiten an die Passanten. Esskastanien knackten und knisterten über einer Feuerschale. Ein pickliger Jugendlicher stand mit einer großen Schaufel daneben und füllte die Maronen in Papiertüten. Die ganze Agententruppe war geschniegelt und gebügelt, ihre Degen und ihre Zähne blitzten, und sie sahen einander so ähnlich, als hätte man sie am Fließband hergestellt. Sie arbeiteten für Rotwell, die zweitälteste Agentur in London und dank ihrer Werbegeschenke die bei Weitem beliebteste. Hinter dem Stand, ein Stück vom Bürgersteig zurückgesetzt, erhob sich die Firmenzentrale, ein Rie senkasten mit einer Fassade aus Glas und Marmor. Löwen mit aufgerissenen Mäulern und Degen in den Pranken zierten die gläsernen Schiebetüren. Ich kannte das Gebäude sogar von innen, denn auch bei Rotwell hatte ich mich vergeblich beworben.
    Ein lächelnder Junge, der höchstens zehn war, streckte uns eine Tüte hin. »Eine kleine Aufmerksamkeit von Rotwell. Und kommen Sie wohlbehalten nach Hause.«
    »Von denen nehmen wir nichts an«, knurrte Lockwood. »Auch du nicht, George.«
    »Aber ich hab Hunger!«
    »Dein Pech. Du läufst auf gar keinen Fall mit so einer Tüte durch die Gegend. Es wäre ein Verbrechen, Werbung für die Konkurrenz zu machen!«
    Lockwood ging an dem Jungen vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. George zögerte kurz, dann nahm er die Tüte mit den Maronen entgegen und steckte sie ein. »Jetzt sieht sie keiner. Ich finde, es ist ein Verbrechen, kostenloses Essen abzulehnen!«
    Wir drängelten uns quer durch die immer dichter werdende Menge. Nach ein paar Minuten hatten wir einen ruhigen, von Bäumen umstandenen Platz erreicht. Er wurde von einem klot zigen Backsteingebäude enormen Ausmaßes beherrscht. An der Tür verkündete ein gusseisernes Schild: STAATLICHES ZEITUNGSARCHIV .
    Georges Brillengläser blitzten. Das hier war sein Revier. Um seinen maronenverschmierten Mund spielte sogar die Andeutung eines Lächelns. »Da wären wir. Ihr dürft nur flüstern. Die Archivare hier sind echt streng.« Er scheuchte uns über die Eisenlinie und durch die Drehtür.
    * * *
    Ich war als Kind nie eine große Leserin gewesen. Bei uns zu Hause gab es nur wenige Bücher, und ich hatte kaum mit der Schule angefangen, da kam ich schon zu Mr Jacobs. Während meiner Ausbildung kam ich natürlich am Lesen nicht vorbei, denn man musste auch schriftliche Prüfungen ablegen, und als ich zwölf war, konnte ich den Leitfaden für Agenten praktisch auswendig. Aber danach? Danach hatte ich einfach immer viel zu viel zu tun, um mich mit Büchern abzugeben. Allerdings schickte mich Mr Jacobs ab und zu in die Stadtbücherei, um über historische Hinrichtungen zu recherchieren (rings um den Galgenberg, ungefähr eine halbe Meile von unserer kleinen Stadt entfernt, zeigten sich besonders viele Besucher), sodass mir Gebäude voller bedrucktem Papier nicht ganz fremd waren. Aber etwas so Gigantisches wie das Staatliche Zeitungsarchiv hatte ich noch nie gesehen.
    Die sechs weitläufigen Stockwerke erhoben sich rings um einen Lichthof. Wenn man dort unten zwischen den Palmen und anderen Kübelpflanzen stand, schienen die auf verschiedene Ebenen verteilten Regale und Leseplätze bis in den Himmel zu reichen. Von der Glaskuppel darüber hing eine gewaltige, aus Eisen gegossene Figur, zum einen als Dekoration, zum anderen als Sicherheitsmaßnahme. In jedem Stockwerk sah man Leute in vergilbten Zeitungen und Zeitschriften blättern. Einige von ihnen waren vermutlich Privatpersonen, die nach Erklärungen für die Plage suchten, die uns befallen hatte. Andere waren Agenten: Ich entdeckte hier und da die blauen Jacken von Tamworth, die violetten von Grimble und die dunkelgrauen von Fittes. Ich wunderte mich nicht zum ersten Mal darüber, dass Lockwood uns keine Uniformen tragen ließ.
    Lockwood schien ähnlich beeindruckt zu sein wie ich, aber George marschierte selbstbewusst voraus. Er verfrachtete uns in den Aufzug, drückte den Knopf für den vierten Stock, setzte uns oben an einen freien Arbeitsplatz, verschwand kurz, kam wieder zurück und ließ mehrere dicke graue Bände vor uns auf den Tisch fallen.
    »Das sind neunundvierzig Jahre alte Lokalzeitungen aus Richmond«, sagte er. »Annabel Ward ist Ende Juni

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