Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
beim dritten Versuch gelang es ihm, seinen Degen in die Schlaufe zurückzustecken.
Dann wandte er sich an George: »Du hast doch vorhin gemeint, du hättest Annabel Wards Kette zu den anderen Trophäen gestellt. Kannst du bitte mal nachsehen, ob sie noch da ist?«
George tupfte sich mit dem Ärmel das Blut von der Lippe. »Nicht nötig. Hab schon nachgeschaut. Die Kette ist weg.«
»Und du bist sicher, dass du sie hier unten ins Regal gestellt hast?«
»Ganz sicher. Heute Vormittag. Sie ist nicht mehr da.«
Betretenes Schweigen. »Glaubt ihr, dass der Typ es auf die Kette abgesehen hatte?«, fragte ich schließlich.
Lockwood seufzte. »Möglich. Jedenfalls hat er sie mitgenommen.«
»Nein«, sagte ich. »Hat er nicht.« Ich zog meinen Kragen zur Seite, denn darunter hing das Silberglas-Döschen mit der Kette unversehrt an meinem Hals.
Kapitel 16
An dieser Stelle sollte ich vielleicht darauf hinweisen, dass ich nicht die Angewohnheit habe, mich mit irgendwelchen Geisterartefakten zu behängen. Ich verstecke auch keine in meinen Socken, wie George mir unterstellte. Die Kette bildete eine absolute Ausnahme.
Mein Blick war darauf gefallen, als wir uns für den Auftrag bei dem heimgesuchten Weidenbaum fertig machten. George hatte den Behälter zu den übrigen gestellt. Darin lag die Kette, matt schimmernd hinter der Glaswand. Statt sie aber dort stehen zu lassen, wie es jeder vernünftige Mensch getan hätte, hatte ich mir das Glas umgehängt und war damit losgezogen.
Es war nicht ganz einfach, den anderen zu erklären, was mich dazu bewogen hatte, zumal wir nach dem nächtlichen Kampf alle nicht mehr ganz taufrisch waren. Deshalb versuchte ich es erst am folgenden Vormittag bei einem späten Frühstück.
»Ich wollte die Kette einfach nur bei mir haben«, sagte ich. »Ich fand es nicht gut, dass sie wie jede andere Trophäe behandelt wird. Wahrscheinlich, weil ich diese Verbindung zu Annie Ward bekam, als ich die Kette berührte. Ich fühlte ihre Gefühle, ich war einen Augenblick lang sie . Deswegen …«
»Das ist der Haken an deiner Gabe«, unterbrach Lockwood mich. Er war blass und ernst am Frühstückstisch erschienen und schaute mich nun mit schmalen Augen an. »Du bist beinahe zu sensibel. Du kommst ihnen zu nah.«
»Nein, das ist es nicht. Ich fühle mich Annie Ward nicht nah. Ich glaube nicht mal, dass sie zu ihren Lebzeiten ein besonders netter Mensch war, und jetzt als Geist ist sie hinterhältig und grausam. Aber durch das Berühren ihrer Kette kann ich nachvollziehen, was sie durchgemacht hat. Ich verstehe ihre Qualen. Ich will nicht, dass ihr Schicksal in Vergessenheit gerät. Du hast sie doch auch gesehen, wie sie dort in dem Kamin lag, Lockwood! Du weißt, was Blake ihr angetan hat. Als die Kette dann zwischen den ganzen anderen Sachen stand, kam mir das nicht richtig vor. Ich finde, bis Annie Wards Mörder seine gerechte Strafe bekommen hat, dürfen wir die Kette nicht einfach so … nicht einfach ins Regal stopfen wie eine x-beliebige Trophäe.« Verlegen setzte ich hinzu: »Das findet ihr jetzt bestimmt ein bisschen verrückt, oder?«
»Hmh«, brummte George.
»Du musst vorsichtiger sein, Lucy.« Lockwoods Ton war kühl. »Mit bösartigen Geistern soll man nicht herumspielen. Du hast schon wieder Geheimnisse vor uns, und jeder, der das tut, bringt damit das ganze Team in Gefahr. Ich dulde aber in meinem Team niemanden, dem ich nicht vertrauen kann. Verstehst du, was ich meine?«
Ich verstand ihn nur allzu gut und schaute zu Boden.
»Wie auch immer …«, sein Ton wurde etwas milder, »… in diesem Fall ist es ja noch mal gut gegangen. Die Kette wäre vermutlich gestohlen worden, wenn du nicht gewesen wärst.«
Während er sprach, hielt er die Kette in der Hand. Der goldene Anhänger funkelte in der Sonne. Wir standen wieder im Untergeschoss, neben der offenen Tür zum Garten. Die frische Luft von draußen vertrieb den Verwesungsgestank der in der Nacht befreiten Geister. Der Fußboden war immer noch mit Glasscherben und Plasmaflecken übersät.
George hatte das Regal mit den Gläsern aufgeräumt. Er trug eine Schürze mit einem schmalen Spitzensaum und hatte die Ärmel hochgekrempelt.
»Sonst fehlt nichts«, sagte er. »Offenbar war der Einbrecher keiner von denen, die Waren für den Schwarzmarkt beschaffen. Immerhin haben wir ein paar seltene Stücke, die Piratenhand zum Beispiel oder diese zauberhafte Brosche …«
Lockwood schüttelte den Kopf. »Nein. Er hatte es auf die
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